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tober spricht, so geht daraus doch nicht hervor, daß die Grundsätze einer dem deutschen
Volke verantwortlichen Regierung jetzt bereits vollständig angenommen sind, oder daß
eine Bürgschaft besteht oder erwogen wird, damit die Systemänderung und die Durch-
führung der Maßregeln, über die jetzt teilweise eine Einigkeit erzielt worden ist, dauernd
sein werden. Außerdem tritt nicht gerade in Erscheinung, ob der Kern der gegen-
wärtigen Frage getroffen ist. Es ist möglich, daß künftige Kriege jetzt unter Kontrolle
gestellt worden sind. Aber der gegenwärtige Krieg war es nicht. Und um den gegen-
wärtigen Krieg handelt es sich. Es ist klar, daß das deutsche Volk kein Mittel besitzt,
um zu befehlen, daß sich die deutschen Militärbehörden dem Volkswillen unterordnen,
daß die Macht des Königs von Preußen, die Politik des Reiches unter seiner Kontrolle
zu halten, noch unzerstörbar ist, daß die entscheidende Initiative noch immer bei denen
liegt, die bis jetzt die Herrscher in Deutschland waren.
In dem Gefühl, daß der ganze Weltfrieden jetzt davon abhängt, daß klar ge-
sprochen und aufrichtig und klar gehandelt werde, betrachtet es der Präsident als seine
Miliicht, ohne irgendeinen Versuch zu machen, Worte, die als schroff gelten könnten, zu
mildern, auszusprechen, daß die Völker der Welt kein Vertrauen zu den Worten der-
jenigen hegen und hegen können, die bis jetzt die deutsche Politik beherrschten, und eben-
falls zu betonen, daß beim Friedensschluß und beim Versuche, die endlosen Leide und
Ungerechtigkeiten dieses Krieges ungescheben zu machen, die Regierung der Vereinigten
Staaten mit keinem andern als mit den Vertretern des deutschen Volkes verhandeln
kann, welche bessere Sicherheiten für eine wahre verfassungsmäßige Haltung bieten, als
die bisherigen Beherrscher Deutschlands.
Wenn mit den militärischen Beherrschern und monarchischen Autokraten
Deutschlands jetzt verhandelt werden muß, kann und muß es nur die Aussicht haben,
daß wir später auch mit ihnen bei der Regelung der internationalen Verpflichtungen
des Deutschen Reiches zu tun haben werden. Dann kann Deutschland über keine
Friedensbedingungen verhandeln, sendern muß sich ergeben. Diese wesentlichen Dinge
können nicht unausgesprochen bleiben.
Genehmigen Sie den Ausdruck meiner besonderen Hochachtung.
gez. Lansing.
Nr. 77.
Delegramm.
München, den 25. Oktober 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Für den Herrn Reichskanzler.
Geheim!
Ich erfülle eine schwere Pflicht, wenn ich Euerer Großherzoglichen Hoheit melde,
daß hier in Bayern von berufener Seite die gestern abend bekanntgewordene Antwort
Wilsons so gedeutet wird, daß sie sich in ihrem letzten Abschnitt direkt gegen die Person
unseres Kaisers kehrt. Der Ministerpräsident und der Kriegsminister sind der Ansicht,
der Wortlaut der Note lasse andere Deutung nicht zuj durch die verhüllte Ausdrucksweise
solle lediglich Gelegenheit gegeben werden, den schmerzlichen Schritt freiwillig zu tun.
In jedem Falle treten die Genannten dafür ein, daß Seiner Majestät offen dargelegt
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