Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Vornehmlich alles, was die See betraf, fand mein brennendes Inter- 
esse. Die englischen Marinebücher, die Königin Bictoria meinem zur 
Seefahrt bestimmten Bruder zum Geburtstage und zu Weihnachten 
schenkte, habe ich immer zuerst gelesen. In meiner Gymnasialzeit 
kam auch gerade das schon erwähnte Buch von Admiral Werner 
über die deutsche Flotte heraus, dieses hat mich in Kassel nie ver- 
lassen, ich habe, wie erwähnt, auch meinen Kameraden oft daraus 
vorgelesen, um meine Begeisterung auf sie zu übertragen und konnte 
eb schließlich auswendig. 
So groß mein Interesse für Epos, Drama und auch für Balladen 
war — die wundervollen „Glocken zu Speyper“ und andere Kafser- 
balladen von Löwe, die Graf Görtz in Schlitz sang, haben mich tief 
bewegt —,. so gering war mein Interesse für Lprik. Hinzpeter war darüber 
sehr unglücklich und gab sich redliche Mühe, den fehlenden Sinn zu er- 
wecken — aber vergeblich. Ebensowenig war sein Vorhaben, mich zu eigener 
poetischer Broduktion zu begeistern, von Erfolg gekrönt. Ich folgte zwar 
seinen ernsten Mahnungen, einmal meine Kunst zu versuchen, und 
machte mich auch wirklich ans Dichten. Da ich 15 Jahre alt war, 
mußte es natürlich eine Tragödie werden und ebenso selbstverständ- 
lich eine historische. Meine Wahl fiel nach langem Suchen auf die 
Geschichte von den beiden Athenern Harmodios und Aristogeiton, 
die im Jahre 714 v. Chr. den Pisistratiden Hipparchos ermordeten 
— also ein Revolutionsdramal Eine Kiebesgeschichte spielte natürlich 
auch hinein und gab dem Epos nach der Heldin den Titel „Hermione“. 
Ich ließ mir die Arbeit recht sauer werden und zimmerte meine Verse 
unverdrossen und mit großem Fleiß. Schließlich ebbte die Begeiste- 
rung aber doch ab, und als mein späterer Schwager Bernhard mir 
eines Tages eröffnete, daß er bereits diesen Stoff dramatisch be- 
arbeitet hätte, da glaubte ich, die deutsche Hiteratur hätte an einem 
solchen Stück genug und gab den Plan auf. So blieb die „Dich- 
tung“ ein Torso. 
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