Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

MWuster, die Schattierung von Karos und derartige Arbeiten un— 
säglich langweilig. 
Uber Hinzpeters Religionsunterricht habe ich bereits gesprochen. 
Es erscheint mir darüber hinaus angebracht, an dieser Stelle einige 
Aufzeichnungen wiederzugeben, die er sich über dieses Thema gemacht 
hat: «Deshalb wurde zunächst schon der äußere Respekt vor Bibel 
und Gesangbuch mit ihrem Inhalt sorgfältigst gepflegt, die heilige 
Geschichte nie mehr zur Disziplin oder Memoirübung benutzt, nie 
mehr Psalmen als Strafarbeit aufgegeben, nie mehr das laute Beten 
als Gelegenheit zum Korrigieren der Aussprache oder zum Erzwingen 
des Gehorsams benutzt. Der Beschäftigung mit religiösen Dingen 
wurde eine solche Weihe zu geben versucht, daß jeder Zwang von 
der einen, jedes Widerstreben von der anderen Seite dabei von selbst 
verschwanden. Auf das sorgfältigste wurde dabei namentlich in den 
ersten Jahren alles vermieden, was an konfessionelle Differenzen 
oder gar Streitigkeiten erinnern konnte. Es wurde vielmehr der 
Versuch gemacht, die christlichen Wahrheiten in ihrer vollen ursprüng- 
lichen Naivität dem Zöglinge zu bieten, und zwar durch eifriges, 
allmählich begeistert werdendes Lesen und Genießen der Heiligen 
Schrift selbst. An dieses hat sich auf den langen Sonntagsspazier- 
gängen in der wundervollen Umgebung von Cannes, Wilhelmshöhe 
oder Potsdam manche weihevolle Stunde gemeinschaftlicher Medi- 
tation und Erbauung geschlossen, ausdrücklich bestimmt zur Ergänzung 
oder zum Ersatz des öffentlichen Gottesdienstes. Das Resultat ist 
sedenfalls dies gewesen, daß religiöses Fühlen und Denken eine 
Gewohnhett, sa ein Bedürfnis geworden ist, daß der christliche Glaube 
in dem Herzen des Brinzen Wurzel geschlagen und daß damit die 
christliche Weltanschauung einen maßgebenden Einfluß auf sein Denken 
und Wollen erlangt hat. Unvermeidlich, aber auch unverfänglich war 
es dabek, daß das erwachte, durch die christlichen Vorstellungen be- 
lebte Gewsssen zuerst mitunter wunderliche Formen annahm, wie der
	        
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