578 Völkerrechtliche Lehre
rührt nicht her von einem besondern Interesse oder einem be-
wussten Widerwillen ; sondern ist lediglich die Folge der mangel-
haften und vielgestaltigen Theorie. Alle nur aus diesem Grunde
irre gehenden Staatsmänner, Richter und schliesslich Gesetzgeber
würden sich allmählig eines Bessern überzeugen und darnach
auch handeln. Selbst für die weniger Geneigten wäre aber die
Festhaltung einer eigenthümlichen und vielleicht offenbar selbst-
süchtigen Verfahrensweise schwer gemacht gegenüber von einem
offenbar richtigen, von der Wissenschaft allgemein, von den ge-
sittigten Staaten wenigstens überwiegend angenommenen Grund-
satze. Ja sogar die öffentliche Meinung jener Völker, welche
nur ihre eigene Rechtspflege als eine zuverlässige zu betrachten
gewohnt und daher jeder Unterstützung fremder Gesetze sehr
abgeneigt sind, dadurch aber auch ihren Regierungen die Hände
binden; selbst die öffentliche Meinung also in England, Nord-
amerika, der Schweiz könnte sich doch wohl auf die Dauer einer
klaren Nachweisung des wirklichen Rechtes und der Vernunft-
mässigkeit nicht entziehen.
Dass eine Annahme einstimmiger Grundsätze über die inter-
nationale Rechtspflege eine grosse Veränderung in dem jetzigen
positiven Rechte zur Folge haben müsste, ergiebt sich eigentlich
auch ohne nähere Untersuchung schon aus der jetzigen grossen
Verschiedenheit des letziern. Ebenso muss schon aus dieser
auf eine grosse Verbesserung geschlossen werden, da doch von
diesen sich widersprechenden Verträgen, Gewohnheiten und Ge-
setzen höchstens nur Eine Gattung das Richtige feststellen kann.
Es kann aber nur beitragen zur richtigen Einsicht in den gan-
zen Gegenstand, wenn das jetzt bestehende Recht genauer und
im Einzelnen zusammengehalten wird mit einer wissenschafllichen
Theorie, und hieraus denn sowohl eine Kritik des jetzigen Zu-
standes als eine Hinweisung auf die wünschenswerthen Verbes-
serungen entsteht.
Wenn im Nachstehenden dieser Versuch gemacht und dem-
selben die oben entwickelte miltlere Theorie zu Grunde gelegt
wird, so geschieht diess nicht in der eillen Voraussetzung, als
sei durch diese Auffassung der Frage bereits alles Wünschens-
werthe geleistet und stehe damit. das allgemeine Recht der Zu-