Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

608 Ueber Begriff und Wesen 
Richtersprüche zu sein, doch kaum weniger nöthig und wohl- 
thätig schienen, als jene. Späterhin, als gegen Ende des Mittel- 
alters die landesherrliche Gewalt stärker wurde und ihre grössere 
Macht zu gebrauchen anfieng, fand sie sich ermunlert, manche 
jener Gegenstände, die bisher lediglich von Stadtobrigkeiten, 
Geistlichen oder unteren Gerichtsbeamten verwaltet worden wa- 
ren, in ihren Kreis zu ziehen und durch Gesetze zu behandeln. 
Diess neue Gebiet von Regierungsgeschäften musste einen Namen 
haben und man wählte dazu ein Wort, welches bisker zwar schon 
ziemlich gangbar gewesen war, aber noch keine bestimmte Be- 
deutung gehabt hatte. Bei Aristoteles ist Politeia (modıreie) 
bald Staat, Staatseinrichtung, Staatsverfassung im Allgemeinen, 
bald im engeren Sinne eine der vernunftgemäss eingerichteten 
einzelnen Staatsformen, nämlich eine Vielherrschaft. Aristo- 
teles stellt 3 gute Staatsformen auf, Monarchie, Aristokratie, 
und Politeia, ferner 3 Ausartungen oder verschlechterte Formen, 
Tyrannis, Oligarchie und Demokratie ’). Mit der Politeia be- 
schäfligt er sich am meisten und diess thaten ihm seine späteren 
Erklärer und Anhänger in der praktischen Philosophie nach. 
Das Wort wurde in lateinischer Sprache politia geschrieben und 
wie bei rein-römischen Wörtern das fi wie zö ausgesprochen, 
während man hätte —- ihia sagen sollen. Nur die Engländer 
haben neben der veränderten Form policy und police zugleich 
noch die ältere polity behalten, worunter sie ebenso wie die 
Griechen die Staatsverfassung oder Staatseinrichtung im Allge- 
meinen verstehen. Noch Hertius (Elementa civilis prudentiae, 
1712) erklärt ächt- aristotelisch Politia als universi populi im- 
perium ad communem utilitatem und Christian von Wolff in 
den Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben (6. Ausg. 1747) 
setzt der Politie die Demokratie als ihre Ausartung ent- 
gegen ?). Die Staatslehre der Alten hatte ein ganz ethisches 
Gepräge, der Staat, den Platon wie einen Menschen im Ganzen 
1) Andere nannten später die gute Vielherrschaft Demokratie, die 
schlechte Ochlokratie. 
2) Zur Geschichte des Namens und Begriffs von Polizei hat Helwing 
schätzbare Beiträge geliefert: De politiae apud populos rerentiores origine et 
notione. Lemgov. 1852. 4.
	        
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