266 Artikel 14. Bedeutung im allgemeinen.
sich nicht scheiden wollen von der Religion, sondern auch in Zukunft
muß er erwarten, daß ihm aus diesem Gebiete des geistlichen Lebens
ein Gewinn zugehen werde, der sein eigenes Gedeihen wesentlich
fördert.“ Auch der Abg. Beseler hob (II. K. 1136) hervor, daß die
durch Art. 12 gewährleistete Religionsfreiheit „keine absolute Trennung
der Kirche vom Staat, keine Verleugnung der christlichen Kirche bedeute.
Ladenberg und Beseler hatten vollkommen recht. Besorgnisse,
wie sie in den Motiven der Anträge Walter, Goldtammer, v. Vie-
bahn (oben S. 261—263) erschienen, wonach ohne den Art. 14
staatliche Anordnungen über die Sonntagsruhe verfassungswidrig seien,
die Juden das gleiche Maß staatlicher Berücksichtigung ihrer Religion
(3z. B. ihrer Satzungen über Sabbatruhe und Zeitrechnung, vol.
Abg. Goldtammer, I. K. 984) wie die Christen fordern könnten,
die Militärseelsorge abgeschafft werden müßte usw., waren unge-
rechtfertigt, ebenso die Verallgemeinerungen Stahls (I. K. 977, 978),
der, um den Art. 12 zu diskreditieren, aus ihm herauslesen wollte,
daß der Staat die christliche Kirche zu behandeln habe „gleichwie jede
andere Religionsgesellschaft, als bloße Privatsache“, „daß die beiden
christlichen Hauptkirchen keine andere Stellung im Staate ferner ein-
nehmen dürfen, als die übrigen Religionsgesellschaften“. Alle diese
Redner verwechseln Freiheit der Religionsgesellschaften vom Staat mit
Gleichheit gegenüber dem Staat. Nur die Freiheit ist durch die
Verfassung, Art. 12 und 15, gefordert und gewährleistet, nicht auch
die Gleichheit. „Trennung von Staat und Kirche“ herrscht in Preußen,
weil die subjektive und objektive Verschiedenheit der beiden ver-
fassungsmäßig anerkannt ist, weil Staat und Kirche nicht eines, sondern
zwei sind, nicht aber in dem Sinne, daß der Staat allen Kirchen
und andern Religionsgesellschaften gegenüber die gleiche Politik zu
befolgen, sich für alle gleich sehr und gleich wenig zu interessieren
hätte. Darüber, und daß hierin auch durch das BG vom 3. Juli 1869
keine Anderung bewirkt wurde, ist bereits in anderm Zusammenhange
(oben bei Art. 12, S. 212, 226 ff.) gesprochen worden.
Verfassungsbedenken gegen die Zulässigkeit der Bevorrechtung der
christlichen Hauptkonfessionen würden also auch ohne Art. 14 nicht be-
stehen. Auch ohne diesen Artikel hätte der Staat seine historische
Rolle als advocatus ecclesiae unbedenklich weiterspielen können. War
doch, im Gegensatz zu den Frankfurter Grundrechten (und zum Ur-
entwurf vom 15. Mai 1848, vgl. oben 39) schon im §& 12 der RegVorl
sowie im Art. 12 der oktr# (— Art. 15 des geltenden Textes) die aus-
drückliche Nennung der evangelischen und katholischen Kirche neben den