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Nun wird ja freilich die steigende Nachfrage
nach Bodenerzeugnissen statt durch die Inangriff-
nahme neuen Bodens durch stärkere Aufwendung
von Kapital und Arbeit auf dem alten Boden be-
friedigt werden, zumal wenn der neue Aufwand
den gleichen oder gar einen höheren Ertrag liefert
als der frühere Aufwand von Kapital und Arbeit.
Aber es gibt für jeden Boden eine Grenze, von
der ab jeder neue Zusatz von Kapital und Arbeit
einen relativ abnehmenden Ertrag liefert; wäh-
rend z. B. früher 100 Werteinheiten von Kapital
und Arbeit 100 Mengeneinheiten der Bodenpro=
dukte hervorbrachten, bringt jetzt derselbe Aufwand
nur 80 Mengeneinheiten hervor. Die Produktions=
kosten und die Produktenpreise steigen infolgedessen,
und auf dem Boden entsteht eine Grundrente,
deren Höhe der Differenz in den Erträgen des
bisherigen und des neuen Produktionsaufwandes
entspricht. Mit Recht sieht daher Ricardo in dem
sog. Gesetz der abnehmenden Bodenerträge eine
weitere Ursache der Grundrente, deren Höhe von
dem verschiedenen Grade der Fruchtbarkeit des
Bodens abhängt. Je fruchtbarer der Boden ist,
um so ergiebiger wird ein höherer Produktions-
aufwand sein, um so später wird das Gesetz des
abnehmenden Ertrags in Wirksamkeit treten;
höherer Aufwand auf schlechteren Böden wird gar
bald die Produktionskosten erheblich steigern und
dadurch eine Grundrente bewirken, die zwar auch
dem schlechteren Boden, aber in viel stärkerem
Grade dem erstklassigen Boden zugute kommt, auf
dem erneuter Produktionsaufwand noch denselben
oder gar höheren Ertrag liefert als früher.
Leitete Ricardo die Grundrente aus der ver-
schiedenen Fruchtbarkeit des Bodens ab, so hat
in ganz analoger Weise J. H. v. Thünen in
seinem berühmten Werke „Der isolierte Staat" die
Entstehung der Grundrente aus der verschiedenen
Lage des Bodens bewiesen. Von der Lage des
Gutes zum Marktgebiet hängt die Leichtigkeit des
Absatzes und der Zufuhr der zum Betriebe erfor-
derlichen Kapitalien ab; von der Lage der Grund-
stücke zum Wirtschaftshofe hängen die Bestellungs-
und Erntekosten ab. Vorausgesetzt, daß der Boden
überall gleich fruchtbar ist, so wird bei der Be-
siedlung der am günstigsten gelegene Boden zuerst
angebaut, dann der Boden von geringerer Gunst
der Lage; hier werden nur die für die Bewirt-
schaftung und den Absatz erforderlichen Transport-
kosten die Marktpreise erhöhen und auf den zuerst
in Kultur genommenen Böden eine Grundrente
entstehen lassen, die gleich ist der Differenz der
Transportkosten für die ungünstigst gelegenen und
die günstiger gelegenen Böden.
Nach dem Gesagten liegt die Ursache für die
Entstehung der Grundrente in der relativen Selten-
heit des Grund und Bodens, der zur Befriedigung
der menschlichen Lebensbedürfnisse herangezogen
werden muß. Die Höhe der Grundrente im ein-
zelnen Falle wird bestimmt durch den Vorzug,
den ein gewisser Boden in Bezug auf Frucht-
Grundrente.
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barkeit und Lage vor andern Böden besitzt (ent-
fernterer Bestimmungsgrund); sie kommt unmittel-
bar zum Ausdruck in der Differenz zwischen den
auf ungünstigeren Böden erforderlichen Produk=
tionskosten und den durch sie gesteigerten Pro-
duktenpreisen und den auf günstigerem Boden be-
obachteten Kosten und Preisen (näherer Bestim-
mungsgrund). Man hat der Rente daher auch
den Namen einer Differentialrente gegeben.
2. Die verschiedenen Arten. Die von
Nicardo und Thünen gewählten typischen Bei-
spiele für die Entstehung der Grundrente beziehen
sich nur auf den landwirtschaftlich benutzten Boden.
Der Boden hat aber einen dreifachen Nutzwert,
der auch die Unterscheidung einer dreifachen Grund-
rente notwendig macht. Grund und Boden wird
von den Menschen benutzt als Träger ersetz-
barer Stoffe (Vegetabilien), als Träger nicht er-
setzbarer Stoffe (Mineralien) und als räumliche
Grundlage menschlichen Wohnens und Produ-
zierens, mit andern Worten, der Boden wird von
der Landwirtschaft, vom Bergbau und von der
Bautätigkeit ausgenutzt. Entsprechend diesem drei-
fachen Nutzungswert entsteht die landwirtschaftliche
Rente, die Bergwerksrente und die städtische Grund-
rente; die letztere ist so genannt, weil der Boden
als Baugrund vorwiegend in Gegenden mit rasch
anwachsender, Wohnung suchender Bevölkerung,
also in den Städten, steigenden Wert erhält und
eine Rente trägt. In der Landwirtschaft wird die
Grundrente bewirkt durch die Fruchtbarkeit und
die Lage, im Bergbau durch den innern Reichtum
an Mineralien (Fruchtbarkeit im weiteren Sinne)
und die Lage, in der Verwendung des Bodens als
Baugrund aber erweist sich fast ausschließlich die
Lage als rentenbildend, wenn wir von der ver-
schiedenen Tragfähigkeit absehen, die in einigen
Gegenden (mit Sumpf= oder Moorboden) den
Wert des Baugeländes differenziert. Hinsichtlich
des Baues von Wohnungen macht die Lage in der
Stadt mit viel Arbeitsgelegenheit, dann die ge-
unde Lage, bequeme Verkehrsgelegenheit und
ähnliches die Grundstücke wertvoll; für den Bau
von Geschäftslokalen verleihen die Zentren des
Verkehrs, die Hauptstraßen, besondern Wert. Da
in den letzten Jahrzehnten die städtische Bevölke-
rung in rascher Progression sich verdichtete und
die Nachfrage nach Baugrund immer stärker wurde,
ist die städtische Grundrente häufig zu schwindeln-
der Höhe gestiegen.
Die Höhe der Grundrente in ihrer dreifachen
Gliederung kann allgemein gesprochen als ein
Maßstab für die gesamte wirtschaftliche Entwick-
lung eines Landes angesehen werden. In einem
wirtschaftlich emporstrebenden Lande wächst die Be-
völkerung, wird kaufkräftiger und nimmt zahl-
reichere und feinere Lebensbedürfnisse an, sie stellt
an den verschiedenen Nutzungswert des Bodens
immer stärkere Ansprüche: der Boden erlangt daher
einen immer höheren Grad von Seltenheit, die
Grundrente wächst. Umgekehrt wird sie bei einem
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