Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Nun wird ja freilich die steigende Nachfrage 
nach Bodenerzeugnissen statt durch die Inangriff- 
nahme neuen Bodens durch stärkere Aufwendung 
von Kapital und Arbeit auf dem alten Boden be- 
friedigt werden, zumal wenn der neue Aufwand 
den gleichen oder gar einen höheren Ertrag liefert 
als der frühere Aufwand von Kapital und Arbeit. 
Aber es gibt für jeden Boden eine Grenze, von 
der ab jeder neue Zusatz von Kapital und Arbeit 
einen relativ abnehmenden Ertrag liefert; wäh- 
rend z. B. früher 100 Werteinheiten von Kapital 
und Arbeit 100 Mengeneinheiten der Bodenpro= 
dukte hervorbrachten, bringt jetzt derselbe Aufwand 
nur 80 Mengeneinheiten hervor. Die Produktions= 
kosten und die Produktenpreise steigen infolgedessen, 
und auf dem Boden entsteht eine Grundrente, 
deren Höhe der Differenz in den Erträgen des 
bisherigen und des neuen Produktionsaufwandes 
entspricht. Mit Recht sieht daher Ricardo in dem 
sog. Gesetz der abnehmenden Bodenerträge eine 
weitere Ursache der Grundrente, deren Höhe von 
dem verschiedenen Grade der Fruchtbarkeit des 
Bodens abhängt. Je fruchtbarer der Boden ist, 
um so ergiebiger wird ein höherer Produktions- 
aufwand sein, um so später wird das Gesetz des 
abnehmenden Ertrags in Wirksamkeit treten; 
höherer Aufwand auf schlechteren Böden wird gar 
bald die Produktionskosten erheblich steigern und 
dadurch eine Grundrente bewirken, die zwar auch 
dem schlechteren Boden, aber in viel stärkerem 
Grade dem erstklassigen Boden zugute kommt, auf 
dem erneuter Produktionsaufwand noch denselben 
oder gar höheren Ertrag liefert als früher. 
Leitete Ricardo die Grundrente aus der ver- 
schiedenen Fruchtbarkeit des Bodens ab, so hat 
in ganz analoger Weise J. H. v. Thünen in 
seinem berühmten Werke „Der isolierte Staat" die 
Entstehung der Grundrente aus der verschiedenen 
Lage des Bodens bewiesen. Von der Lage des 
Gutes zum Marktgebiet hängt die Leichtigkeit des 
Absatzes und der Zufuhr der zum Betriebe erfor- 
derlichen Kapitalien ab; von der Lage der Grund- 
stücke zum Wirtschaftshofe hängen die Bestellungs- 
und Erntekosten ab. Vorausgesetzt, daß der Boden 
überall gleich fruchtbar ist, so wird bei der Be- 
siedlung der am günstigsten gelegene Boden zuerst 
angebaut, dann der Boden von geringerer Gunst 
der Lage; hier werden nur die für die Bewirt- 
schaftung und den Absatz erforderlichen Transport- 
kosten die Marktpreise erhöhen und auf den zuerst 
in Kultur genommenen Böden eine Grundrente 
entstehen lassen, die gleich ist der Differenz der 
Transportkosten für die ungünstigst gelegenen und 
die günstiger gelegenen Böden. 
Nach dem Gesagten liegt die Ursache für die 
Entstehung der Grundrente in der relativen Selten- 
heit des Grund und Bodens, der zur Befriedigung 
der menschlichen Lebensbedürfnisse herangezogen 
werden muß. Die Höhe der Grundrente im ein- 
zelnen Falle wird bestimmt durch den Vorzug, 
den ein gewisser Boden in Bezug auf Frucht- 
Grundrente. 
  
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barkeit und Lage vor andern Böden besitzt (ent- 
fernterer Bestimmungsgrund); sie kommt unmittel- 
bar zum Ausdruck in der Differenz zwischen den 
auf ungünstigeren Böden erforderlichen Produk= 
tionskosten und den durch sie gesteigerten Pro- 
duktenpreisen und den auf günstigerem Boden be- 
obachteten Kosten und Preisen (näherer Bestim- 
mungsgrund). Man hat der Rente daher auch 
den Namen einer Differentialrente gegeben. 
2. Die verschiedenen Arten. Die von 
Nicardo und Thünen gewählten typischen Bei- 
spiele für die Entstehung der Grundrente beziehen 
sich nur auf den landwirtschaftlich benutzten Boden. 
Der Boden hat aber einen dreifachen Nutzwert, 
der auch die Unterscheidung einer dreifachen Grund- 
rente notwendig macht. Grund und Boden wird 
von den Menschen benutzt als Träger ersetz- 
barer Stoffe (Vegetabilien), als Träger nicht er- 
setzbarer Stoffe (Mineralien) und als räumliche 
Grundlage menschlichen Wohnens und Produ- 
zierens, mit andern Worten, der Boden wird von 
der Landwirtschaft, vom Bergbau und von der 
Bautätigkeit ausgenutzt. Entsprechend diesem drei- 
fachen Nutzungswert entsteht die landwirtschaftliche 
Rente, die Bergwerksrente und die städtische Grund- 
rente; die letztere ist so genannt, weil der Boden 
als Baugrund vorwiegend in Gegenden mit rasch 
anwachsender, Wohnung suchender Bevölkerung, 
also in den Städten, steigenden Wert erhält und 
eine Rente trägt. In der Landwirtschaft wird die 
Grundrente bewirkt durch die Fruchtbarkeit und 
die Lage, im Bergbau durch den innern Reichtum 
an Mineralien (Fruchtbarkeit im weiteren Sinne) 
und die Lage, in der Verwendung des Bodens als 
Baugrund aber erweist sich fast ausschließlich die 
Lage als rentenbildend, wenn wir von der ver- 
schiedenen Tragfähigkeit absehen, die in einigen 
Gegenden (mit Sumpf= oder Moorboden) den 
Wert des Baugeländes differenziert. Hinsichtlich 
des Baues von Wohnungen macht die Lage in der 
Stadt mit viel Arbeitsgelegenheit, dann die ge- 
unde Lage, bequeme Verkehrsgelegenheit und 
ähnliches die Grundstücke wertvoll; für den Bau 
von Geschäftslokalen verleihen die Zentren des 
Verkehrs, die Hauptstraßen, besondern Wert. Da 
in den letzten Jahrzehnten die städtische Bevölke- 
rung in rascher Progression sich verdichtete und 
die Nachfrage nach Baugrund immer stärker wurde, 
ist die städtische Grundrente häufig zu schwindeln- 
der Höhe gestiegen. 
Die Höhe der Grundrente in ihrer dreifachen 
Gliederung kann allgemein gesprochen als ein 
Maßstab für die gesamte wirtschaftliche Entwick- 
lung eines Landes angesehen werden. In einem 
wirtschaftlich emporstrebenden Lande wächst die Be- 
völkerung, wird kaufkräftiger und nimmt zahl- 
reichere und feinere Lebensbedürfnisse an, sie stellt 
an den verschiedenen Nutzungswert des Bodens 
immer stärkere Ansprüche: der Boden erlangt daher 
einen immer höheren Grad von Seltenheit, die 
Grundrente wächst. Umgekehrt wird sie bei einem 
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