Full text: Das Buch von unsern Kolonien.

— 245 — 
Kulturvölker an den Grausamkeiten seiner Boxerhorden sich kein Vorbild 
nehmen, und daß er seinerseits von uns nicht bloß den Drill, sondern 
auch menschlichere Sitten im grimmen Kriegshandwerk annehmen kann. 
Tientsin war mit einer Handvoll von Verteidigern, zum Teil Frei— 
willigen aus der Kolonie, von Boxern und Koaiserlichen eng unschlossen, 
und die Wucht der Angriffe wuchs täglich. Die nach Taku entsandten 
Barkassen mußten unverrichteter Sache zurückkehren. Am 20. Junischien 
die Lage hoffnungslos. Das Blutbad von 1860 schien sich wiederholen 
zu sollen. Da erbot sich Jim Watts, einer der besten Herrenreiter unter 
den des Sports beflissenen Europäern von Tientsin, Entsatz aus Taku 
herbeizuholen. Um 8 Uhr abends verließ er, von drei Kosaken begleitet, 
mit einem Handpferd die Befestigungen. Ihre Straße führte den Peiho 
entlang. Ein Kosak ritt voran, die anderen folgten dem Reiter. Das 
erste Dorf durchflogen sie im Galopp unter dem Feuer der Chinesen. 
Dann folgten sie dem „deutschen Richtweg“ durch die offene Ebene, hinter 
sich das Geschrei und Getümmel der Boxer, stets das gellende Tal Tal 
(Töte! Tötel) im Ohr. Man rief seinen Namen. Ein chinesischer Reit- 
knecht hatte ihn erkannt. So ging es weiter durch ein zweites Dorf, 
wo die Reiter in eine Sackgasse gerieten. Watts Pferd stürzte beim 
Wenden und blieb liegen. Die Kosaken erschossen drei herbeieilende 
Chinesen. Mit der Geschwindigkeit des Blitzes hatte Watts das Hand- 
pferd gesattelt, und weiter ging's in voller Flucht vor dem verfolgenden 
Feinde durch die pechschwarze Nacht. So gelangten sie in einer Schleife 
zurück an eine Stelle, die sie längst passiert hatten. Watts wollte den 
Ritt aufgeben, aber die Kosaken machten das Zeichen des Erhängens. 
Sie wollten sagen, daß sie nicht zurückkehren dürften, ohne der schmach- 
vollen Todesstrafe zu verfallen. Das war russisches Kommando. 
Also wiederum vorwärts, die Taku-Straße links liegen lassend, 
bis an den großen Kanal bei Peitang-Kau. Diesen durchschwammen sie. 
Abermals unter Feuer genommen gelangten sie nach Shiensi-Kau, an 
schlafenden Posten vorbei, den Kanal bald auf Brücken kreuzend, bald 
durchschwimmend, bald vorsichtig tastend, bald flüchtig wie der Vogel, 
bis sie endlich am Morgen, zwölf Stunden nach ihrem Ausritt, die bereits 
in Händen der Europäer befindlichen Forts erreichten. Das seltsamste 
war, daß eine aus Taku flüchtende Truppe von Kaiserlichen ehrfurchtsvoll 
salutierte und ihnen auf der Taku-Road bescheidenst Platz machte. Sie 
hatten in Taku eine Lektion bekommen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.