Ansehen des Reiches schädigende Nachgibigkeit, die ein Zeichen der
Schwäche wäre, sondern erfordert tatkräftiges Handeln und festes
Zugreifen.
Ein Fehlen einer Exekutionsbestimmung könnte die Gliedstaaten
leicht in Versuchung führen, ihre Befugnisse dann auf Kosten des
Reiches zu erweitern, wenn ein höherer, mit Zwangsmitteln aus-
gerüsteter Wille nicht mit Repressivmaßregeln drohen und ihre Durch-
führung ins Werk setzen könnte. Wir müßten den Mangel einer
derartigen Bestimmung als ein Zeichen politischer Unordnung und poli-
tischer Ohnmacht ansehen, das den Todeskeim des jungen Reiches in
sich tragen würde. Oie repräsentiert auch ein Schutzmittel seiner höchsten
Lebensinteressen und ein Mittel zur Erhaltung seiner Einheit nach
außen, die nur dann von Dauer sein khann, wenn sein Innenleben,
frei von jeder Spaltung und Zerrissenheit, sich zur fruchttragenden
Blüte entwicheln kann. Seydel sagt:)
„Es ist nicht zu erwarten, daß dieser Artikel je Be-
deutung gewinnen werde, darum sind auch seine Lücken nicht
empfindlich. Die tatsächlichen Verhältnisse sind entscheidender,
als gesetzliche Feststellungen.“
Wir haben schon früher (§ 7) darauf hingewiesen, daß der Artikel
nicht die Mängel besitzt, die ihm nach der Ansicht Seydels anhaften.
Diese Behauptung Seydels findet ihre Erklärung in seiner irrtümlichen
Annahme, daß dem Bundesrate Parteirechte zukommen, die ihm jed-
wede richterliche Tätigkeit versagen.
Es kann freilich nicht in Abrede gestellt werden, daß die Be-
hauptung einer Mangelhaftigkeit des Artikels in gewissem Sinne zu-
treffend ist.
Wenn z. B. Preußen, der mächtigste deutsche Bundesstaat, das
Objekt eines Exekutionsverfahrens bilden sollte, so würde die Ver-
fassungsbestimmung versagen; denn der Kaiser müßte als König von
Preußen gegen sich selbst vollstrechen. Ein Exekutionsbeschluß, gerichtet
gegen Preußen oder Bayern oder gar gegen eine größere Anzahl von
Staaten, gefaßt vielleicht von einer kleinen Majorität im Bundesrate
und zu einer Zeit, wo auswärtiger Krieg droht, könnte leicht zu einer
gewaltsamen Auflösung des Reiches führen. Es kann in diesem Falle
die Gefahr nicht als ausgeschlossen betrachtet werden, daß der mit
Exekution bedrohte Staat eher einen Waffengang wagen als die
Demütigung einer Exehution auf sich nehmen würde. Charakteristisch
hiefür ist eine Aeußerung, die Kriegsminister v. Prankh in der baye-
rischen Abgeordnetenkammer machte: „Was ist die Exekution, wenn
sie auf Bayern ausgedehnt werden sollte? Ganz frei sage ich meine
Meinung: Das ist Krieg mit Bayern, das ist die Zerreißung der Ver-
träge, nichts anderes ist die Exekution.“?)
Sevdel. Kom. S. 190.
Sten. Ber. d. bayer. Abgeordnetenkammer, 75. Sitz. 1871, S. 196, 198.