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unentziehbares Recht auf die Staatsgewalt zustehe 77). So lange
nicht sämmtliche thronfolgeberechtigte Mitglieder der legitimen Dy-
nastie gestorben sind oder auf ihr Recht verzichtet haben?8), kann
kein anderes Subjekt ein Recht auf die Staatsgewalt erwerben; ob
der Berechtigte im Besitze der Staatsgewalt ist oder nicht und wie
lange im letzteren Fall der Widerspruch zwischen seinem Rechte und
dem thatsächlichen Zustand besteht, ist für die Rechtsfrage völlig irre-
levant — das sind die beiden unabweisbaren Folgesätze 2).
Anerkennenswerth ist diese Theorie insofern, als sie den recht-
lichen Standpunkt, welcher im Staatsleben so oft außer Augen ge-
setzt wird, mit Nachdruck geltend macht, als sie das Band, welches
das Recht zwischen Fürst und Volk schlingt, wenn auch in sehr ein-
seitiger Richtung festzuziehen strebt. Aber dies ist Alles, was sich
zu ihrem Lobe sagen läßt, während zahlreiche, nach meinem Ermessen
unwiderlegkiche Bedenken sich ihr entgegenstellen. Unverkennbar sind
diese Bedenken, so weit sie bis jetzt vorgebracht sind 20), nicht ohne
Eindruck auch auf die Anschauungen der Legitimisten geblieben; in
den Reihen derselben zeigt sich ein Schwanken und Accommodirens#t),
Grundzüge des Deutschen Staatsrechts, S. 81—82, bes. S. 82, N. 3; Held,
Ueber Legitimität, bes. S. 38—48. In gewisser Beziehung Lehirt auch hierher
Zöpfl, I, K 206, I.
27) In speciellem Bezug auf Frankreich definirt H. de Riancey l. o.: „La
légitimité est la doctrine qui proclame et maintient en France le principe
d’hérédité de la couronne de müle en male, par ordre de primogéniture,
dans la maison royale de Bourbon. Tout „égitimiste“ professe que ce prin-
cipe ne peut, en droit, recevoir aucune atteinte. C'’est un aziome de droit
public et de droit politique pour lui, due le roi est inviolable et que
dans la monarchie française la succession masculine ne peut tre inter-
vertie.“ — Aehnlich sagte Baron Ségnier in einer Anrede an den Generalstatt-
halter Grafen von Artois (1814): „Tant que se perpétuera la race du saint
Roi, la France sera son héritage, les Françgais sa famille“; er setzte hinzu:
„Ainsi la raison le conseille, Texpérience P’enseigne, la loi Tordonne, la
justice le proclame“ (L. de Viel-Castel, Histoire de la. Restauration, 1,
S. 333).
28) Diese beiden Fälle nehmen ausdrücklich aus: Zöpfl 1. o. ; Mejer, S. 234;
Held, S. 44.
29) Vgl. namentlich Held, S. 38—41.
30) Vgl. H. A. Zachariä, §& 18 N. 2, J+ 21 III u. N. 11; Bluntschli, 1,
S. 24—26 und im Staatswörterbuch, VI, S. 354—356: Baudrillart im
Dietionn. de la Politique, I, S. 941.
31) Bemerkenswerthe Modifikationen finden sich namentlich bei Zöpfl, I,
1206, II u. III; Stahl, III, S. 253—254; Walter, S. 222—224.