52 II. Abschnitt. Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate. § 7.
4. Bei Ausweisung auf Grund des § 3 Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes
sind bezüglich des Verfahrens die Bestimmungen des Gothaer Vertrags vom
15. Juli 1851 (§§ 8—12) und die zur Ausführung derselben später getroffenen
Vereinbarungen zur Anwendung zu bringen.“ —
In der Sitzung vom 9. Juli 1894 beschloß darauf der Bundesrat:
„Die Bundesregierungen zu ersuchen, bei Ausführung der Bestimmung
im § 3 Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes die im Ausschußantrag vom 26. Juni
1894 bezeichneten Grundsätze zur Anwendung zu bringen.“
Der Referent bemerkte zu Ziff. 4 der Grundsätze, „daß nach einstimmiger
Auffassung der Ausschüsse bei Anwendung dieser Bestimmung die Übernahme
eines auf Grund des § 3 cit. Ausgewiesenen von den Behörden eines Bundes-
staates nicht verweigert werden darf, wenn der Ausgewiesene in diesem Staate
die Staatsangehörigkeit oder einen Unterstützungswohnsitz (Heimatrecht) besitzt,
oder wenn derselbe diese Rechte in einem dritten Bundesstaate besitzt, welchem
er nicht wohl anders als durch das Gebiet des erstgedachten Staates zuge führt
werden kann.“
Dieser Antrag des Bundesausschusses, der von den süddeutschen Bundes-
regierungen ausging und sich von dem preußischen Antrag darin unterschied,
daß die Worte „.und die Aufenthaltsbeschränkung oder die Bestrafung wegen
wiederholten Bettelns oder wiederholter Landstreicherei außerhalb dieses Staates
verhängt worden ist" gestrichen waren, hat auch zu keiner einheitlichen Beschluß-
fassung geführt.
Es besteht somit noch heutigen Tages eine verschiedene Verwaltungs-
praxis zwischen Preußen und den ihm zustimmenden Staaten des früheren
Norddeutschen Bundes einerseits und Bayern, Württemberg, Baden, Ham-
burg und Lübeck andrerseits.
Das Großherzogtum Hessen teilt nach dem Ministerialamtsblatt Nr. 9
vom 25. Okt. 1894 hinsichtlich des § 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Freizügig-
keit die Auffassung der kgl. preußischen Regierung. Hiernach wird von Hessen
duran festgehalten, daß die Aufenthaltsbeschränkung oder die Verhängung
der Strafe in einem anderen als dem die Aufenthaltsverweigerung aussprechen-
den Staate stattgefunden haben muß. Den Regierungen von Bayern, Württem-
berg und Baden gegenüber soll jedoch nach dem genannten Amtsblatte zwecks
Vermeidung von Nachteilen in der Praxis nach dem Grundsatze der Reziprozität
verfahren werden.
Die Grundsätze, die die preußische Regierung für die Auslegung des
§ 3 Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes den süddeutschen Regierungen sowie Ham-
burg und Lübeck gegenüber angewendet wissen will, ist in den Zirkularen des
preuß. Min. d. J. vom 28. Juni 1894, 24. Jan. 1895 und 7. Febr. 1895 (s. Anhang,
Anl. Nr. 10—10b) enthalten, während die Praxis der süddeutschen Regierun-
gen aus der bayerischen Ministerialentschließung vom 9. März 1895 (s. Anhang,
Anl. Nr. 11) ersichtlich ist.
" NachderAnsichtdesVerfassersdürftenachüberdietzigjährigemVes
stehen des Freizügigkeitsgesetzes es doch an der Zeit sein, daß für das ganze
Deutsche Reich eine einheitliche Verwaltungspraxis endlich durchgeführt werde.
87.