Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Dritter Jahrgang. 1875. (3)

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daß die S., welche, wie — auch durch Zeugenaussagen konstatirt ist — früher einen Arm= und 
Beinbruch erlitten, auch in Folge einer Knochenhautentzündung das erste Glied des rechten 
Daumens verloren hat, solche Arbeiten, welche auf dem Lande die Möglichkeit zum Erwerbe des 
Unterhalts gewähren, nicht zu leisten im Stande ist, daß sie insbesondere auf solche Hausarbeiten, 
welche geringe Anstrengung erfordern, vorzugsweise wegen der Schwerbeweglichkeit des linken Arms 
und des Knochenmangels am rechten Daumen nicht in solchem Umfange ausführen kann, daß sie 
dadurch ihren Lebensunterhalt zu bestreiten vermöchte. 
Der Inhalt dieses ärztlichen Zeugnisses wird auch nicht widerlegt, sondern bestätigt durch 
die eidlichen Aussagen der in erster Instanz vernommenen Zeugen. Der Bauer S. hat ihr für 
ihre in der Kartoffelernte 1873 während 1½ Tagen geleistete Arbeit keinen Lohn, sondern nur 
die Kost gewährt, augenscheinlich weil, wie er weiter sagt, die S. nur wenig arbeiten konnte. Der 
Bauer D. hat sie zwar gegen 5 Sgr. Lohn und Kost während der Roggen= und während der 
Kartoffelernte beschäftigt. Er bekundet aber, daß ihre Leistungen unbedeutender seien, wie die der 
andern Leute und daß er sie gar nicht in Arbeit genommen haben würde, wenn er nicht an 
Arbeitern Mangel gelitten hätte. Der Bauer A. endlich hat ihr zwar in der Roggenernte während 
2¼ Tag täglich 5 Sgr. und die Kost gewährt, sie dann aber entlassen, weil sie das nicht leisten 
konnte, was er beanspruchte, und hat er sie später auf ihr Angebot zwar wieder beschäftigt, ihr 
aber für ihre Leistungen nur die Kost gewährt. 
Ebenso bestätigen die vorgelegten Akten des Landrathsamts die Annahme, daß die ect. S. als 
jedenfalls nur in unzureichendem Maße erwerbsfähig zu betrachten sei. Allerdings waren es 
wesentlich polizeiliche Gründe, welche den Landrath veranlaßt haben, durch Verfügung vom 
5. Oktober 1872 den Polizeiverwalter Amtmann L. anzuweisen, der durch Exmission aus ihrer 
früheren Wohnung im Dorfe Damme obdachlos gewordenen und mit ihren Kindern und Effekten 
auf der Straße liegenden Wittwe S. ein Obdach zu verschaffen, wobei er zugleich bemerkte, daß 
zu dieser vorläufigen Fürsorge die Gemeinde Damme es §. 28 des Reichsgesetzes verpflichtet sei. 
In Folge dieser Verfügung ist denn auch die S. vom Amtmann L. in einer Tagelöhner-Wohnung 
des Gutsbezirks für Rechnung der Gemeinde Damme untergebracht worden, in welcher sie sich noch 
befindet. Wenn aber auch diese Unterbringung mit Rücksicht auf den Grund, weshalb sie erlassen 
wurde, ursprünglich den Charakter einer polizeilichen Maßregel gehabt hat, so ergeben die Ver- 
handlungen doch weiter, daß dem L. für die Wohnung von der S. eine Vergütung niemals ge- 
währt, noch eine desfalsige Einigung mit ihm von ihr versucht worden ist, daß L. sich vielmehr 
bereits im Dezember 1872 mit dem Armenverbande der Gemeinde Damme dahin verständigt hat, 
daß die S. für eine von dem letzteren an ihn zu bezahlende Miethe in jener Wohnung so lange 
belassen werden solle, bis über die Verpflichtung der Uebernahme der Armenpflege definitiv ent- 
schieden sein werde. Nachdem die S. sodann in einem Protokolle vom 17. Dezember dess. Is. 
erklärt hatte, daß sie sich in der gedachten Wohnung nothdürftig mit ihren Kindern ernähre, daß 
es ihr aber gänzlich an Brennmaterial fehle, gab das Landrathsamt durch Verfügung vom näm- 
lichen Tage der Gemeinde Damme auf, auch dafür zu sorgen, daß die S. dauernd mit dem 
nöthigen Bedarf an Torf oder Holz versehen werde, indem dem Landrathoamte die Verhaältnisse 
der S. genügend bekannt, und sie auch mit Hülfe ihrer Kinder nicht im Stande sei, sich Brenn- 
material aus eigenen Mitteln anzuschaffen, und auch dieser Auflage hat die Gemeinde entsprochen. 
Es läßt sich unter solchen Umständen nicht daran zweifeln, daß die S., deren Bestreben sich 
ihren Bedarf soweit möglich selbst zu erwerben, aus den referirten Zeugenaussagen hervortritt, es 
in Folge ihrer körperlichen Gebrechlichkeit nicht vermocht hat, soviel zu verdienen, daß sie damit 
neben der Bestreitung ihrer sonstigen nöthigsten Bedürfnisse für sich und ihren zur Zeit der Klage 
erst dreizehnjährigen Sohn August, auch die Miethe einer Wohnung und das erforderliche Brennmaterial 
bezahlen könne; das ihr anfänglich aus polizeilichen Gründen gewährte Obdach hatte, und zwar 
bereits von dem Zeitpunkte, auf welchen es hier ankommt, die Natur einer öffentlichen Armen- 
unterstützung angenommen. 
Der Verklagte hat zwar die Hülfsbedürftigkeit der S. auch noch aus dem Grunde bestritten, 
weil deren beide ältesten Söhne bereits als Knechte in hohem Lohne ständen und zu ihrer Unter- 
stützung zunächst verpflichtet seien. Allein das Bestehen einer solchen Verpflichtung, welche nicht 
erfüllt wird, entbindet den Armenverband des Aufenthaltsortes nicht von seinen aus den Be- 
stimmungen des öffentlichen Rechts entspringenden Verbindlichkeiten. Derselbe ist auch nur befugt, 
nicht verpflichtet, nach §. 62 des Reichsgesetzes Ersatz seiner Leistungen von dem zivilrechtlich zur
	        
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