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wenn auch mit gewissen Modifikationen in das Ermessen der Gemeindebehörde gestellte Rezeption
eines Ausländers, während die Folgen, welche in den §§. 4, 5 und 6 an die Thatsachen der
Geburt, der Anstellung und der Verheirathung geknüpft sind, kraft Gesetzes eintreten. Der §. 9
berührt deshalb in Absatz 3 auch nur den Fall besonders, wenn ein Ausländer eine Inländerin
heirathet und sich an dem Heimathsorte der letzteren niederlassen will, nicht auch den umgekehrten
Fall, weil für diesen der §. 6 bereits die nöthige Bestimmung enthält. Auch dieser Einwand
zerfällt daher.
Darüber, ob preußische Landarmenverbände verpflichtet sind, die ihnen nach §. 30 des früheren preußischen
Armenpflegegesetzes vom 31.Dezember 1842 obliegende Vorschuß-Verbindlichkeit, wenn dieselbe aus Anlaß einer vor
dem 1. Juli 1871 gewährten Krankenpflege in Anspruch genommen wird, noch jetzt zu erfüllen, spricht sich
ein Erkenntniß des Bundesamts für das Heimathwesen vom 13. Februar 1875 in Sachen Kurmark wider
Spandau wie folgt aus:
Die Frage, ob Kläger noch jetzt berechtigt sei, auf Grund des preußischen Armenpflegegesetzes
vom 31. Dezember 1842, §. 30, den verklagten Landarmenverband zur vorschußweisen Erstattung
derjenigen Kosten anzuhalten, welche ihm durch Kur und Verpflegung des auf der Reise erkrankten,
in Prierow ortsangehörigen Drechslergesellen H. in der Zeit vom 23. Mai 1870 bis 1. Juli 1871
erwachsen sind, wird vom ersten Richter bejaht, weil das am 1. Juli 1871 in Kraft getretene
Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 die Vorschußpflicht der Landarmenverbände zwar für die Zukunft
aufgehoben, das wohl erworbene Recht des Klägers, für die Vergangenheit Ersatz zu fordern,
aber unberührt gelassen habe.
Dieser Rechtsansicht kann nicht beigetreten werden.
Das Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 setzt im Eingange des §. 65 alle partikularrechtlichen
Bestimmungen über die durch das Gesetz geregelten Rechtoverhältnisse außer Anwendung, soweit
es sich nichl um die Feststellung des Unterstützungswohnsitzes für die Zeit vor dem 1. Juli 1871
handelt. Kann auch daraus, wie das Bundesamt wiederholt anerkannt hat, nicht abgeleitet
werden, daß Rechtsverhältnisse, welche unter der Herrschaft des früheren Rechts perfekt geworden
waren, mit rückwirkender Kraft beseitigt werden sollten, so haben doch unbedenklich alle diejenigen
Bestimmungen des älteren Rechts ihre Anwendbarkeit verloren, welche die Pflicht der vorläufigen
Fürsorge regelten. Dahin gehört auch die Vorschrift in §. 30 des preußischen Armenpflegegesetzes
vom 31. Dezember 1842. In diesem Paragraphen wird den Landarmenverbänden die Verbind-
lichkeit auferlegt, die Kosten der Verpflegung hülfsbedürftiger Personen, welche auf der Reise er-
krankt sind, dem verpflegenden Ortsarmenverbande vorschußweise zu erstatten, zugleich aber das
Recht vorbehalten, die verauslagten Kosten von dem fürsorgepflichtigen Armenverbande des Unter-
stützungswohnsitzes wieder einzuziehen. Indem das Gesetz den vorläufig unterstützenden Orts-
armenverband der Mühe überhob, den ersatzpflichtigen Armenverband zu ermitteln und in Anspruch
zu nehmen, übertrug es einfach die Rolle des vorläufig unterstützenden Armenverbandes auf den
Landarmenverband. Zu solcher Vertretung der Ortsarmenverbäude in der Ermittelung des Unter-
stützungswohnsitzes sowohl, wie in der Geltendmachung des Ersatzanspruches und folgeweise zur
vorschußweisen Erstattung der Verpflegungskosten sind aber seit dem 1. Juli 1871 die preußischen
Landarmenverbände nicht mehr verpflichtet. Kläger hat denn auch den fürsorgepflichtigen Armen-
verband Prierow zunächst verklagt und erst, nachdem er wegen Versäumniß rechtzeitiger Anmeldung
dieses Anspruches mit dem größten Theile desselben abgewiesen war, zur Klage gegen den Land-
armenverband seine Zuflucht genommen.
In Sachen Schlaubehammer wider Müllrose kam es darauf an, ob die wegen Obdachlosigkeit in einem
der Familienhäuser des Gutes Schlaubehammer einstweilen untergebrachte Familie M. durch Benutzung dieser
Wohnung Armenunterstützung genossen habe. Zum Beweise der bestrittenen Hülfsbedürftigkeit hatte Kläger
unter Anderem angeführt, daß die zuständige Aufsichtsbehörde die Nothwendigkeit öffentlicher Unterstützung
anerkannt habe, welche damit unwiderleglich festgestellt sei. Mit Bezug darauf bemerkt das Erkenntniß des
Bundesamtes vom 27. Februar 1875, anknüpfend an die Ausführung, daß nach der thatsächlichen Lage des
Falles Armenpflege nicht eingetreten sei, Folgendes: