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5. Heimath Wesen.
Darüber, ob der Lauf der Erwerbs= und Verlustfrist des Unterstützungswohnsitzes für die Großmutter ge-
hemmt wird, während für eine in ihrer Pflege befindliche Enkeltochter Armenunterstützung gezahlt wird, hat
sich in Sachen des Ortsarmenverbandes Crimmitschau wider den Ortsarmenverband Lobenstein, das
Bundesamt für das Heimathwesen am 27. November 1875, dahin ausgesprochen:
Das Bundesamt ist in seinen Entscheidungen konstant davon ausgegangen, daß die zivil-
rechtliche Alimentationspflicht mit der armenrechtlichen Familienangehörigkeit nicht zusammenfällt.
Nach §. 21 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 theilen uneheliche Kinder den Unterstützungs=
wohnsitz der Multer, aber keineswegs den der Großmutter. Sie behalten auch nach dem Tode
der Mutter deren Unterstützungswohnsitz, bis sie nach den Vorschriften des Reichsgesetzes einen
selbständigen Unterstützungswohnsitz erworben oder den bisherigen verloren haben.
Die Parteien sind darüber nicht in Streit, daß die Wittwe Z. nicht, um die eigene Existenz zu
fristen, sondern lediglich, weil sie außer Stande war, ihr Enkelkind aus eigenen Mitteln zu er-
nähren, zu dessen Unterhalt öffentliche Armenunterstützung in Anspruch genommen hat. Dies
ergiebt auch die Verhandlung vom 28. August 1874 in den Verwaltungsakten des Stadtraths zu
Crimmitschau ganz unzweifelhaft.
Danach ist die Ida Agnes H. als unterstützt anzusehen.
Diese hat den Unterstützungswohnsitz ihrer am 9. Oktober 1872 verstorbenen Mutter noch
gegenwäriig, da sie damals erst 9 Monate alt war.
Ihre Mutter, die unverehelichte Ernestine Karoline Z., war zur Zeit ihres Todes erst 23 Jahre
alt und theilte ihrerseits deshalb den Unterstützungswohnsitz, welchen damals ihre Mutter, die
Wittwe Z., noch besaß.
Da letztere aber am 1. Juli 1871 unbestritten noch das Heimathsrecht ihres in Lobenstein
verstorbenen Ehemannes in Lobenstein besaß, so erwarb sie nach §. 65 ad 1 des Reichsgesetzes
vom 6. Juni 1870 mit Eintritt der Gültigkeit dieses Gesetzes in Lobenstein Unterstützungswohnsitz.
Diesen konnte sie zur Zeit des Todes ihrer Tochter am 9. Oktober 1872 durch zweijährige Ab-
wesenheit noch nicht verloren haben. Das Kind der letzteren behielt diesen Unterstützungswohnsitz
bei, wenngleich die Großmutter vor Eintritt des Unterstützungsfalles im September 1874 denselben
nicht mehr besaß.
Der in den Entscheidungen II. pag. 19 abgedruckte Fall berührte abweichend von dem vor-
liegenden die Frage, ob die Mutter durch die Unterstützung des Kindes mit unterstützt ist.