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Elversberg beantragte die Abweisung der Klage. Ohne den ununterbrochenen Aufenthalt des Vaters
in Elversberg seit 1858 zu bestreiten, wurde eingewendet, daß der 8. 64 cit. nur auf den Vater selbst An-
wendung finden könne, so lange derselbe sich als Ausländer in Preußen aufhalte, nicht aber auf dessen im
Auslande verbliebene Angehörige. Für den vorliegenden Fall insbesondere könne daher nur der Eisenacher
Vertrag von 11. Juli 1853 Anwendung finden.
Die rheinische Deputation für das Heimathwesen hat durch Erkenntniß vom 6. Oktober 1877 die
erhobene Klage abgewiesen, indem sie erwog, daß der in Kassel hülfsbedürftig gewordene Jakob H. seinem
Vater bei dessen im Jahre 1857 erfolgten Umzuge nach Elversberg nicht gefolgt sei, und überhaupt dort nie
gewohnt habe; daß derselbe, als ihm in Kassel Unterstützung gewährt wurde, bereits 24 Jahre alt, mithin
großjähriger, selbständiger Ausländer gewesen sei, daher die Frage über, die Theilung des Unterstützungs-
wohnsitzes seines Vaters überhaupt nicht zur Sprache komme, vielmehr im untergebenen Falle nur der §. 60
des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 zur Anwendung gebracht werden könne.
Auf die Berufung des Klägers hat das Bundesamt für das Heimathwesen am 23. März 1878
das erstrichterliche Erkenntniß abgeändert und den Verklagten nach dem Klageantrage verurtheilt.
Gründe.
Es ist bereits mehrfach von dem Bundesamte erkannt worden, daß der sogenannte
Gothaer Vertrag vom 15. Juli 1851 nur Rechte und Pflichten zwischen den kontrahirenden Regie-
rungen begründet habe und die Verhältnisse der Armenverbände unter einander nicht berühre.
Oaselle muß gelten bezüglich der von dem Verklagten angerufenen Eisenacher Uebereinkunft vom
11. Juli 1853.
Das Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 erklärt im §. 60 denjenigen Bundesstaat zur Er-
stattung der auf die vorläufige Unterstützung eines Ausländers von einem Ortsarmenverbande
verwendeten Kosten für verpflichtet, welchem der Ortsarmenverband der vorläufigen Unterstützung
angehört, mit der Maßgabe, daß es jedem Bundesstaate überlassen bleibt, im Wege der Landes-
gesetzgebung diese Verpflichtung auf seine Armenverbände zu übertragen. Von letzterem Vorbe-
halte hat Preußen in dem F§. 64 des Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 Gebrauch gemacht.
Danach ist jeder Ausländer, so lange ihm der Aufenthalt gestattet ist, in Bezug a) auf die Art
und das Maß der im Falle der Hülfsbedürftigkeit zu gewährenden öffentlichen Unterstützung;
b) auf den Erwerb und den Verlust des Unterstützungswohnsitzes einem Deutschen gleich zu be-
handeln. Die amtlichen Motive des jetzigen 8. 64 gingen davon aus, daß kein ausreichender
Grund für eine Bestimmung vorzuliegen scheine, wonach die Pflicht zur Unterstützung hülfsbedürf-
tiger Ausländer, abweichend von der bezüglichen Bestimmung bezüglich der Norddeutschen, durch-
weg für eine Last des Staates erklärt werde; daß die Gründe, um derentwillen die Bundes-
gesetzgebung denjenigen Ortsarmenverband für verpflichtet zur Verpflegung eines hülfsbedürftigen
Norddeutschen erkläre, in dessen Bezirk der letztere sich 2 Jahre hindurch aufgehalten hat, im
wesentlichen auch bei Ausländern zutreffen. Auch die Kommission des preußischen Abgeordneten-
hauses erachtete es für konsequent, wenn man den Ausländer ganz wie den Inländer behandele,
und stellte deshalb die vom Herrenhause abgeänderte Regierungsvorlage wieder her — Abgeord-
netenhaus Aktenstück Nr. 109 Seite 262 —. Hiernach ist es eine Folge der Bestimmung des
§. 64, daß in Preußen die Kosten der inländischen Armenpflege für einen Ausländer dem Staate
überhaupt nicht obliegen, dieselben vielmehr ebenso wie die Kosten der Armenpflege für Deutsche,
je nachdem rücksichtlich des Ausländers die gleichen Voraussetzungen zutreffen, nach welchen ein
Deutscher den Unterstützungswohnsitz in einem Armenverbande erworben haben und noch besitzen
würde oder nicht, dem Ortsarmenverbande seines Unterstützungswohnsitzes oder dem betreffenden
Landarmenverbande zur Last fallen. Aus der vorgeschriebenen, nach Inhalt der mitgetheilten
Materialien ohne Vorbehalt adoptirten gleichmäßigen Behandlung folgt aber nothwendigerweise
auch weiter, daß durch den Erwerb des Unterstützungswohnsitzes seitens eines Ausländers nicht
blos die armenrechtlichen Verhältnisse seiner Person bestimmt werden, dieser Erwerb sich vielmehr
zugleich auf alle diejenigen Personen miterstrecken muß, welche bei einem Deutschen nach Maß-
gabe der Reichsgesetzgebung — §§. 15 bis 20, Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 — seinen
Unterstützungswohnsitz zu theilen haben; daß also nicht im Widerspruche mit dem rücksichtlich der