Object: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artilel 4 verbietet Geburts-, nicht Berufsstände. 115 
stände nicht nur als soziale, sondern auch als rechtliche Gliederungen zu- 
lassen und billigen. Vollkommen übereinstimmend hiermit wird auch die dem 
Satze 2 entsprechende Bestimmung der belgischen Verfassung, const. belge 
art. 6 Abs. 1: „II n’y a dans I’Etat aucune distinction d’ordres“ aus- 
gelegt. Distinction d’ordres sei, so sagt ein bekannter Kommentator, 
„la distinction féodale des trois ordres“ (Adel, Bürger, Bauern) 
„c'est cette classification que le Congreès nationala voulu proscrire, en 
décidant du’'fil n’y aurait désormais aucune distinction d’ordres“ 
(Thonissen a. a. O. S. 19). Diese ausgeprägt antifeudale Tendenz be- 
herrschte insbesondere die Verhandlungen der Nat Vers über Art. 4 und 
steigerte sich dort, wie bereits erwähnt (oben S. 43) bis zu dem Be- 
schlusse, den Adel überhaupt abzuschaffen und den öffentlichen Gebrauch 
von Adelsprädikaten zu verbieten. Wenngleich nun diese durch das 
Prinzip der Rechtsgleichheit nicht geforderten Ubertreibungen in die 
oktr V und den geltenden Text nicht übergingen, so besteht doch kein Zweifel 
darüber, daß man durch Satz 2 jedenfalls die rechtliche Sonderstellung des 
Adels vollständig zu brechen gedachte. Selbst der im allgemeinen nicht 
radikal gestimmte Bericht des ZAussch der I. K. zieht alle, auch die rein 
sormalen Konsequenzen dieses politischen Standpunktes; er erblickt in 
Art. 4 Satz 2 unter anderem die unausgesprochene, aber selbstverständliche 
„Berücksichtigung der öffentlichen Meinung, welche in der Aberkennung 
des Adels als Strafmodus ebenso wie in dem Auedruck Erhebung in 
den Adelsstand eine unbegründete Geringschätzung gegen Nichtadlige 
empfunden habe“ (I. K. a. a. O. S. 644). 
Während also die sonderrechtliche Ordnung der Rechtsverhältnisse 
einzelner Berufsstände: der Beamten durch Beamten-, der Militär- 
personen durch Militärgesetze, der Kaufleute, Gewerbtreibenden, Dienst- 
boten durch Handelsgesetzbuch, Gewerbeordnung, Gesindeordnung mit 
Satz 2 durchaus nicht unvereinbar ist, und selbst ausgesprochene Be- 
vorzugungen solcher Gruppen, z. B. die Steuerprivilegien der Be- 
amten und Militärpersonen (Komm. Abg v. 14. Juli 1893 § 41, 42, 
EinkStG v. 24. Juni 1891 (19. Juni 1906]1 § 5 Nr. 3—5) nicht da- 
wider verstoßen, sind Sonderrechtsbildungen, begünstigende wie benach- 
teiligende, auf geburtsständischer Grundlage durch den Satz auf- 
gehoben und ausgeschlossen. Das hiermit bezeichnete Programm der 
Nivellierung aller Standesunterschiede war übrigens, wie bereits be- 
merkt (vgl. oben S. 114), in der Hauptsache schon durch die vor- 
konstitutionelle Gesetzgebung seit 1807 erledigt; schon damals sind 
(vRZ 2 2ff.) die Adelsvorrechte beseitigt, ist dem Bürgerstande seine 
Eigenschaft als wirtschaftlich, insbesondere gewerbepolitisch privilegierte 
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