wahre Hintermann des Kladderadatsch sei kein anderer als Frhr.
v. Marschall selbst. Um die mächtige Kamarilla in seinem Amt
los zu werden, habe er kein anderes Mittel gewußt als heim—
liche Flucht in die Spalten des Witzblattes. Es gab wirklich Leute,
die trotz der ernsten und im Vergleich zu der leichten Lebensart
des Schwaben Kiderlen sogar schwerfälligen Natur Marschalls einen
solchen Streich nicht für ausgeschlossen hielten. Holstein wußte,
wie hoch Marschall seine Arbeitskraft und Findigkeit im inter—
nationalen Geschäft schätzte, aber ganz traute er auch ihm nicht,
wie überhaupt keinem Menschen. Nur war er damals in der
Periode, da alles Böse für ihn in der Presse aus der Gegend
um den Grafen Herbert Bismarck herum kommen mußte, und
so legte er die einfältige Anschuldigung gegen Marschall in der
Westdeutschen Allgemeinen geitung als einen besonders raffinierten
Versuch aus, von der Spur des wahren Hintermannes des Kladde-
radatsch abzulenken. Für Holstein existierte der Fall, daß ein Re-
dakteur oder Korrespondent aus eigenem etwas schreiben könnte,
überhaupt nicht, der Artikel mußte immer, wenn er Unfreund-
liches enthielt, von jemand in hoher Stellung eingegeben sein,
je nach Zeit und Umständen von einem Grafen Herbert Bismarck,
Henckel, Waldersee, Miquel, Lucanus, Senden-Bibran (Chef des
Marinekabinetts) usw. Die Lehre, die in der erwiesenen Tatsache
lag, daß der Verfasser des unter Anklage gestellten Artikels des
rheinischen Blattes ein harmloser Privatpolitiker in Fürth, Re-
dakteur einer Hopfenzeitung, war, hat bei Holstein nichts ge-
fruchtet.
Der wahre Hintermann des Kladderadatsch blieb im Dun-
keln. In dem Kölner Prozeß war der Zeuge Polstorff auch vor
die Frage gestellt worden, ob sein Gewährsmann, der ihm Material
geliefert hätte, ein dem Reichskanzler oder dem Staatssekretär
des Auswärtigen Amtes unterstellter Beamter wäre. Polstorff
lehnte die Beantwortung der Frage nicht mit Berufung auf das
Redaktionsgeheimnis, sondern aus dem Grunde ab, weil die Frage
außerhalb des Beweisthemas dieses Prozesses läge. Frhr. v. Mar-
schall ließ die Weigerung hingehen und hat es überhaupt vermie-
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