Hugo Preuss, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. >»
waltung im Verhältnis zum „Staat“, die als wahre querelles allemandes der deutschen Wissenschaft
eigentümlich sind.‘ Die Lösung dieser Probleme ist unmöglich, so lange man den entscheidenden
Gegensatz da sucht, wo er nicht liegt: im Wesen des „Staates“ und der „Gemeinde“, die
vielmehr einander homogen sind; und ihn da nicht sieht, woer wirklich besteht: im Verhältnis
der obrigkeitlichen Beamtenregierung zum Prinzip des selfgovernment in Staat und Gemeinde.
Dieser bestehende Zustand ist der Niederschlag der geschichtlichen Entwicklung, vor allem
in dem führenden deutschen Staste, in Preussen.
2. Die Entwicklung der Selbstverwalt tzgebung in Preussen.
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Die Grundlage der modernen Selbstverwaltung in Deutschland, die erste preussische St. O.
v. 19. Nov. 1808 war von ihren Urhebern nur als Bestandteil der fundamentalen Reform gedacht
die das zusammengebrochene System der obrigkeitlichen Beamtenregierung durch die Organisation
eines national selfgovernment ersetzen sollte. „Durch die Reform eine Nation zu bilden‘, das
war das ausgesprochene Ziel der Politik Steins. Diesen Reformgedanken zu verwirklichen, misslang
jedoch; vielmehr blieb die St.O. das einzige abgeschlossene Werk der Steinschen Gesetzgebung.
Im übrigen ging aus der Reformäre nur eine Rekonstruktion der obrigkeitlichen Beamtenregierung
hervor, in deren Rahmen die städtische Selbst ltungsorganisation als ein isoliertes, der sonstigen
staatlichen Struktur heterogenes Element eintrat. Damit war von Anbeginn der immanente Gegen-
satz gegeben, der die ganze folgende Entwicklung beherrscht.
Die Steinsche Reform hatte die Organisation des national selfgovernment folgerichtig von
unten nach oben durchführen wollen, und deshalb mit der Befreiung der lokalen Verbände, mit
der Organisation des local selfgovernment begonnen. Auch hier war zunächst eine Beschränkung
auf die Stadtgemeinden kaum zu vermeiden. Allerdings hatte der absolute Obrigkeitsstaat die mittel-
alterliche Städtefreiheit völlig gebrochen, den einst so kräftigen bürgerlichen Gemeingeist gänzlich
erstickt; nirgends gründlicher als gerade in Brandenburg-Preussen. Immerhin konnte man in den
Städten doch an eine zwar halbverklungene, aber von der Erinnerung romantisch verklärte Tradition
anknüpfen. Vor allem jedoch stiess die politische Wiedergeburt des städtischen Bürgertums nicht
auf die schweren Hemmungen, die sich einer analogen Umgestaltung auf dem flachen Lande ent-
gegenstemmten durch die persönliche Unfreiheit der Bauern, die gutsherrliche Obrigkeit, die
patrimonial-feudale Ordnung der Grundbesitzverhältnisse, wo öffentliches und privates Recht
noch ebenso im Gemenge lag, wie Ritterhufen und Rustikalland. Hier hatte das Edikt v. 9. Okt.
1807 mehr nur das Programm einer Reform, als eine unmittelbar wirksame Neugestaltung gebracht.
Wohl rechnete Steins feurige Tatkraft auf eine schleunige Ueberwindung auch dieser gewaltigen
Widerstände; aber eben dieser Tatkraft entsprach es, sofort zuzugreifen, wo sich das Neue ohne
langwierige Vorstadien schaffen liess. Und Eile tat dringend not. Ohne die kongeniale Mitarbeit
des Königsberger Polizeidirektors und Stadtrats Frey hätte Stein schwerlich noch seinen Namen
unter die St.O. setzen können; 5 Tage nach deren Sanktion wurde der grosse Reformminister
entlassen.
Das moderne selfgovernment lässt sich im Staate wie in grösseren Gemeinden nur auf Grund-
lage der Repräsentativverfassung organisieren. Mit der Wahl der Stadtverordneten durch die
Bürgerschaft, mitder Uebertragung des Beschluss- undKontrollrechts auf dieses Repräsentativorgan
trieb die St.O. in den obrigkeitlichen Beamtenstaat das ihm diametral entgegengesetzte Prinzip
der kommunalen und dasPrototyp desparl tarisch l£government hinein. Die Entscheidungs-
macht über die Angelegenheiten der Stadtgemeinde sollte von der Staatsbureaukratie auf die er-
wählte Vertretung der Bürgerschaft übergehen. Es ist wahrlich kein Zufall, dass die St. O. den Beruf
dieser Repräsentanten fast wörtlich so umschreibt, wie es die Constituante für das erste verfassungs-
mässige Parlament des Kontinents getan hatte. Wenn neben der Stadtver.-Vers. als zweites Organ
der Gemeinde der Magistrat bestehen blieb, so streifte erdoch den patrimonialen Charakter der alten
Ratsobrigkeit völlig ab. An die Stelle der Lebenslänglichkeit und der Selbstergänzung, die durch
ein oft bis zur Ernennung überspanntes Bestätigungsrecht der staatlichen Obrigkeit beschränkt