8 20. Die Geſetzgebung (Legislative). 145
b. Eine durchgreifende Umgeſtaltung erfuhr der Be—
griff „Geſetz“ durch die Montesquieuſche Lehre von der
Teilung der Gewalten (S. 134). Nach dieſer iſt die ge—
ſetzgebende Gewalt durch ein beſonderes Organ auszuüben.
Hätte ſich dieſes Ideal verwirklichen laſſen, dann hätten
sich in dem Geſetzbegriff das materielle, den Inhalt be¬
treffende, und das formelle, die Entſtehung betreffende
Element gleichwertig vereinigt und gedeckt: Geſetz wäre
(materiell) nur eine allgemeine Rechtsnorm geweſen, und
eine allgemeine Rechtsnorm hätte (formell) nur durch
die geſetzgebenden Faktoren geſchaffen werden können.
Die Aufteilung der drei Gewalten (Funktionen)
unter drei von einander völlig gesonderte Staatsorgane
ließ sich aber, wie schon S. 137 ausgeführt, nirgends ver¬
wirklichen. Überall, sowohl in der Republik, wie in der
parlamentarischen und der konstitutionellen Monarchie,
mußten der gesetzgebenden Versammlung noch andere
Funktionen als bloße gesetzgebende überwiesen werden und
anderseits mußten gesetzgebende Funktionen unter Um¬
ständen auch den Regierungsorganen überlassen werden.
Indem man nun jedes der beiden Elemente des Gesetz¬
begriffs: Rechtsnorm und Anordnung durch die gesetz¬
gebenden Faktoren verselbständigte, kam man zu einer
doppelten Art von Gesetzen:
1) materiellen Gesetzen, d. h. solchen staat¬
lichen Anordnungen, die inhaltlich allgemein gül¬
tige Rechtssätze aufstellen und damit entweder neues
Recht schaffen oder bestehendes abändern oder maßgebend
auslegen („„uthentisch interpretieren“);
#2) formellen Gesetzen, d. h. den von den ge¬
setzgebenden Faktoren ausgehenden staatlichen An¬
ordnungen irgendwelchen – rechtlichen oder tatsächlichen
— Inhalts. eer, +
Wenn in einer von den gesetzgebenden Faktoren er¬
lassenen Anordnung ein neuer Rechtssatz aufgestellt ist,
so ist dieses formelle Gesetz zugleich ein materielles. Es
können aber einerseits Rechtsnormen von anderen Staats¬
organen als den gesetzgebenden Faktoren erlassen werden
(materielle Gesetze ohne Gesetzesform, un¬
ten 8) und anderseits können von den gesetzgebenden Fak¬
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