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meiner begrenzten Zeit und anderer Umstände
war ersteres nicht mehr möglich. Durch die un-
vorhergesehen lange Bootfahrt war mehr Proviant
verbraucht worden, als ich gerechnet hatte; unter-
wegs in Massawa gekaufter Taro erwies sich zur
Hälfte als unbrauchbar. Die Gouvernements-
träger, Polizeisoldaten ohne Gewehr, waren an-
spruchsvoll und minderwertig. Ich mußte damit
rechnen, mir 4 bis 5 Tage lang einen Pfad zu
eröffnen, um dann am Henury Reid-Fluß auf eine
menschenleere Küste zu treffen. Alle diese Er-
wägungen bestimmten mich, auf einem anderen
Wege zur Küste zurückzukehren. Ich besuchte die
Nakanai-Plätze Nessai und Tongan, um mich
dann auf dem zur Vorsicht noch zwei Tage an
der Küste festgehaltenen „Baltic“ wieder ein-
zuschiffen. Wieder hatte ich vier Nächte und
dreieinhalb Tage im Regen und im Sonnenschein
auf dem Deck dieses Segelbootes zuzubringen,
ehe ich Herbertshöhe erreichte.
Wenn ich somit meinen Hauptplan nicht habe
durchführen können, so war doch diese Expedition
geographisch nicht ohne Wert und ethnologisch
hochinteressant. Die von mir durchstreifte Gegend
ist ausgenommen worden; auch sonst konnten
einige kleine Beiträge zum richtigen Kartenbild
der Gazelle-Halbinsel geliefert werden.
Die drei von mir besuchten Nakanai-Dörfer
Vatu, Nessai und Tongan sind die einzigen,
die in dieser ganzen Gegend noch bestehen. Die
Bainings im Hinterland sind so wenig von der
europäischen Kultur berührt, daß sie zum maß-
losen Erstaunen meiner Leute nicht einmal das
„Kleingeld“ der Kolonie, Tabak, kannten. Als
ich dem Häuptling einer im Walde überraschten
Bande zur Begrüßung und Beruhigung eine
Stange Tabak hinreichte, wich er entsetzt zurück,
als reichte ich ihm einen vergifteten Dolch. Einige
blaue Glasperlen sind die einzigen europäischen
Kulturgüter, die bisher zu diesen Leuten ge-
langt sind.
Als das Palisadendorf Puluga in Sicht kam,
trat die gleiche Erscheinung ein, die ich auch
beim Zusammentreffen mit der eben genannten
Baining-Bande und auch früher bei anderen
Gelegenheiten beobachten konnte: die auf dem
engen Pfade vor mir befindlichen Führer (Dol-
metsscher und Soldaten zu ihrer Bewachung)
wichen unter einem Vorwande zurück und ließen
mich an der Spitze. Diesmal hatte ich noch
meinen braven Ragetta-Mann Don — den ein-
zigen Menschen, der neben meinem Diener Gallas
von Anfang an alles mitgemacht hat — mit dem
Taubengewehr vor mir. Aber das Tor des
Palisadendorfes war so niedrig und schmal, daß
er erst seinen Rucksack ablegen mußte, um passieren
zu können. Inzwischen schlüpfte ich hinein. Erst
als ich drin war, bemerkte ich, daß eine Art
Bastion über mir dicht mit bewaffneten Männern
besetzt war. Sie führten 3 m lange Lanzen und
Schleudern und hatten oben 200 bis 300 Schleuder-
steine sowie etwas Proviant und Feuerholz an-
gesammelt. Ich ließ sie freundlichst ersuchen,
herunter zu kommen, was sie auch ohne weiteres
taten.
Die Bainings waren an diesem Tage in drei
Banden geteilt: die eine unter dem alten Häupt-
ling traf ich, wie erwähnt, im Walde und brachte
sie nun zum Teil mit. Eine zweite bewachte das
Palisadendorf mit den Weibern und Kindern.
Die dritte unter dem Häuptling Kambule selbst
kam am Nachmittag von einem Streifzug zurück.
Meine Leute bemerkten ihren Anmarsch erst, als
sie schon dicht vor dem Tor waren, und auch die
anrückenden Bainings entdeckten erst jetzt, daß
ihre Festung von Fremden besetzt war. Einen
Augenblick herrschte allgemeine Aufregung. Der
Ruf „Kambule! Kambule!“ erscholl, die innerhalb
um ein Feuer hockenden Bainings sprangen auf
ihre Füße, daß es nur so klatschte, die Bainings
außerhalb rissen aus, verfolgt von einigen meiner
Leute. Nur Kambule selbst und einer seiner
Leute waren nicht geflohen. Mit einem halb
ängstlichen, halb stolzen Zug im Gesicht und mit
zwei riesigen Lanzen, jede zweimal so lang als
er selbst, auf der Schulter, zog der kleine Mann
in die Festung ein. Ich habe 91 Bainings an-
thropologisch gemessen, Kambule ist der kleinste
von allen; er ist nur 1441,5 mm hoch. Er sieht
aus wie ein Kind.
Diese Leute sind somatisch und ihrem Kultur-
besitz nach zweifellos Bainings und werden auch
von Nakanai und Kanakern der Gazelle-Halbinsel
so genannt. Ihre Sprache aber unterscheidet sich,
soweit ich wahrnehmen konnte, wesentlich von
den anderen beiden mir bekannten Baining-
Dialekten.
Aus Neu-Pommern zu forschen müßte ein
Vergnügen sein; der Unterschied zwischen ihm
und Neu-Mecklenburg erscheint dem Ethnologen
wie Tag und Nacht. Dank der Tätigkeit eines
fähigen und energischen Mannes, Boluminski,
marschiert man durch ganz Neu-Mecklenburg, be-
sonders im nördlichen, mit größerer Sicherheit,
schläft dort ohne Wache und bei offenen Türen
mit größerem Vertrauen, als im Berliner Tier-
garten. In Neu--Pommern aber ist anderthalb
Tagemärsche von Herbertshöhe entfernt alles un-
bekannt, alles Wildnis. Dabei halte ich es gar
nicht für gefährlich, in Neu-Pommern zu forschen.
Man muß nur ein ganz klein wenig militärisch
organisieren, Eingeborene und Untergebene ein
wenig behandeln können.
Die Fahrt durch acht Nächte und sieben Tage