Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

GW 125 2e.C 
meiner begrenzten Zeit und anderer Umstände 
war ersteres nicht mehr möglich. Durch die un- 
vorhergesehen lange Bootfahrt war mehr Proviant 
verbraucht worden, als ich gerechnet hatte; unter- 
wegs in Massawa gekaufter Taro erwies sich zur 
Hälfte als unbrauchbar. Die Gouvernements- 
träger, Polizeisoldaten ohne Gewehr, waren an- 
spruchsvoll und minderwertig. Ich mußte damit 
rechnen, mir 4 bis 5 Tage lang einen Pfad zu 
eröffnen, um dann am Henury Reid-Fluß auf eine 
menschenleere Küste zu treffen. Alle diese Er- 
wägungen bestimmten mich, auf einem anderen 
Wege zur Küste zurückzukehren. Ich besuchte die 
Nakanai-Plätze Nessai und Tongan, um mich 
dann auf dem zur Vorsicht noch zwei Tage an 
der Küste festgehaltenen „Baltic“ wieder ein- 
zuschiffen. Wieder hatte ich vier Nächte und 
dreieinhalb Tage im Regen und im Sonnenschein 
auf dem Deck dieses Segelbootes zuzubringen, 
ehe ich Herbertshöhe erreichte. 
Wenn ich somit meinen Hauptplan nicht habe 
durchführen können, so war doch diese Expedition 
geographisch nicht ohne Wert und ethnologisch 
hochinteressant. Die von mir durchstreifte Gegend 
ist ausgenommen worden; auch sonst konnten 
einige kleine Beiträge zum richtigen Kartenbild 
der Gazelle-Halbinsel geliefert werden. 
Die drei von mir besuchten Nakanai-Dörfer 
Vatu, Nessai und Tongan sind die einzigen, 
die in dieser ganzen Gegend noch bestehen. Die 
Bainings im Hinterland sind so wenig von der 
europäischen Kultur berührt, daß sie zum maß- 
losen Erstaunen meiner Leute nicht einmal das 
„Kleingeld“ der Kolonie, Tabak, kannten. Als 
ich dem Häuptling einer im Walde überraschten 
Bande zur Begrüßung und Beruhigung eine 
Stange Tabak hinreichte, wich er entsetzt zurück, 
als reichte ich ihm einen vergifteten Dolch. Einige 
blaue Glasperlen sind die einzigen europäischen 
Kulturgüter, die bisher zu diesen Leuten ge- 
langt sind. 
Als das Palisadendorf Puluga in Sicht kam, 
trat die gleiche Erscheinung ein, die ich auch 
beim Zusammentreffen mit der eben genannten 
Baining-Bande und auch früher bei anderen 
Gelegenheiten beobachten konnte: die auf dem 
engen Pfade vor mir befindlichen Führer (Dol- 
metsscher und Soldaten zu ihrer Bewachung) 
wichen unter einem Vorwande zurück und ließen 
mich an der Spitze. Diesmal hatte ich noch 
meinen braven Ragetta-Mann Don — den ein- 
zigen Menschen, der neben meinem Diener Gallas 
von Anfang an alles mitgemacht hat — mit dem 
Taubengewehr vor mir. Aber das Tor des 
Palisadendorfes war so niedrig und schmal, daß 
er erst seinen Rucksack ablegen mußte, um passieren 
zu können. Inzwischen schlüpfte ich hinein. Erst 
  
als ich drin war, bemerkte ich, daß eine Art 
Bastion über mir dicht mit bewaffneten Männern 
besetzt war. Sie führten 3 m lange Lanzen und 
Schleudern und hatten oben 200 bis 300 Schleuder- 
steine sowie etwas Proviant und Feuerholz an- 
gesammelt. Ich ließ sie freundlichst ersuchen, 
herunter zu kommen, was sie auch ohne weiteres 
taten. 
Die Bainings waren an diesem Tage in drei 
Banden geteilt: die eine unter dem alten Häupt- 
ling traf ich, wie erwähnt, im Walde und brachte 
sie nun zum Teil mit. Eine zweite bewachte das 
Palisadendorf mit den Weibern und Kindern. 
Die dritte unter dem Häuptling Kambule selbst 
kam am Nachmittag von einem Streifzug zurück. 
Meine Leute bemerkten ihren Anmarsch erst, als 
sie schon dicht vor dem Tor waren, und auch die 
anrückenden Bainings entdeckten erst jetzt, daß 
ihre Festung von Fremden besetzt war. Einen 
Augenblick herrschte allgemeine Aufregung. Der 
Ruf „Kambule! Kambule!“ erscholl, die innerhalb 
um ein Feuer hockenden Bainings sprangen auf 
ihre Füße, daß es nur so klatschte, die Bainings 
außerhalb rissen aus, verfolgt von einigen meiner 
Leute. Nur Kambule selbst und einer seiner 
Leute waren nicht geflohen. Mit einem halb 
ängstlichen, halb stolzen Zug im Gesicht und mit 
zwei riesigen Lanzen, jede zweimal so lang als 
er selbst, auf der Schulter, zog der kleine Mann 
in die Festung ein. Ich habe 91 Bainings an- 
thropologisch gemessen, Kambule ist der kleinste 
von allen; er ist nur 1441,5 mm hoch. Er sieht 
aus wie ein Kind. 
Diese Leute sind somatisch und ihrem Kultur- 
besitz nach zweifellos Bainings und werden auch 
von Nakanai und Kanakern der Gazelle-Halbinsel 
so genannt. Ihre Sprache aber unterscheidet sich, 
soweit ich wahrnehmen konnte, wesentlich von 
den anderen beiden mir bekannten Baining- 
Dialekten. 
Aus Neu-Pommern zu forschen müßte ein 
Vergnügen sein; der Unterschied zwischen ihm 
und Neu-Mecklenburg erscheint dem Ethnologen 
wie Tag und Nacht. Dank der Tätigkeit eines 
fähigen und energischen Mannes, Boluminski, 
marschiert man durch ganz Neu-Mecklenburg, be- 
sonders im nördlichen, mit größerer Sicherheit, 
schläft dort ohne Wache und bei offenen Türen 
mit größerem Vertrauen, als im Berliner Tier- 
garten. In Neu--Pommern aber ist anderthalb 
Tagemärsche von Herbertshöhe entfernt alles un- 
bekannt, alles Wildnis. Dabei halte ich es gar 
nicht für gefährlich, in Neu-Pommern zu forschen. 
Man muß nur ein ganz klein wenig militärisch 
organisieren, Eingeborene und Untergebene ein 
wenig behandeln können. 
Die Fahrt durch acht Nächte und sieben Tage
	        
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