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überall gelungenen, aber doch im Fortschritt be-
findlichen Verständigung der Gesamtheit, um die
maschinelle Apparatur mit dem tatsächlichen Welt-
konsum an Fabrikaten wieder in Einklang zu
bringen, und das muß in verhältnismäßig kurzer
Zeit gelingen. Denn der Baumwollverbrauch der
Welt ist mangels jedes Ersatzmittels von irgend-
welcher Bedeutung in einem ständigen Steigen
begriffen. Neben die regelmäßige Zunahme der
bisher konsumierenden Weltbevölkerung tritt als
ein anreizender Faktor die steigende Wohlhaben-
heit insbesondere der großen Massen, und zu den
bisherigen Konsumenten treten sowohl im äußersten
asiatischen Osten, in Indien und insbesondere auch
in Afrika große Mengen neuer Konsumenten hinzu.
Der erheblichste Teil der aus Afrika bezogenen
Rohstoffe wird, oft unter Umgehung des Geld-
verkehrs, in Baumwollstoffen abgegolten. Und
einen großen Teil unseres Exports aus
unseren Kolonien bezahlen wir mit Waren
aus amerikanischer Baumwolle.
Aber wenn dem auch so ist, so hat der Zu-
stand doch die ebengeschilderten Nachteile gehabt
und wird sie bis zum Ausgleich auch noch
weiter haben, und die Nachteile legen sich mit
besonderem Druck namentlich auf die Arbeiter-
schaft in der Textilindustrie der ganzen
Welt. War dieser Druck aber noch erträglicher,
als das Kapital durch billigere Rohstoffe weniger
angestrengt, die Spekulation durch die Hoffnung
auf höhere Preise auch stärkere Orders gab und
dadurch eine freiere Disposition der Fabrikanten
ermöglichte, so ist der Notstand dann besonders
scharf aufgetreten, als im letzten Jahre eine un-
gewöhnlich knappe Baumwollernte in den Ver-
einigten Staaten und Agypten nur teilweise durch
eine hohe indische Ernte wettgemacht wurde. Der
Weg, in dem die Fabrikation diesem Ubelstande
begegnete, bestand teilweise in dem sogenannten
„short time movement“, das bereits im Jahre
1903 leise eingesetzt hat und zur Zeit augenblick-
lich in der ganzen Welt die Regel ist. Die Me-
thode besteht in systematischen Arbeitskürzungen,
welche im Jahre 1904 in England und einigen
anderen Ländern begannen, aber, wie bereits ge-
sagt, sich erst als eine Folge der letzten knappen
Ernte zur gegenwärtigen Schärfe entwickelten.
Gleichzeitig sind selbstverständlich die Dividenden
und Reingewinne außerordentlich heruntergegan-
gen. Die nachfolgenden Angaben habe ich aus
Zeitungsnachrichten und Fachblättern sammeln
lassen und ich muß gleich sagen, daß ich weder
für die Vollständigkeit noch für die absolute
Richtigkeit eine Gewähr übernehmen kann. Aber
sie zeigen doch, auch wenn sie im einzelnen nicht
durchaus richtig sind, in grellem Streiflicht die
allgemeine Lage der Spinnindustrie.
In dem letzten, Ende 1909, erschienenen
Vierteljahrsbericht der Betriebsgemeinschaft der
englischen Baumwollspinner ist gesagt, daß bei
einer amerikanischen Ernte von 11 Millionen
Ballen die Aussichten auf Besserung gering seien
und bald darauf wurden die tatsächlichen Ernten
nur auf 10 Millionen Ballen geschätzt. Die ver-
kürzte Arbeitszeit wurde bis Ende Februar emp-
fohlen und die Regierung dringend aufgefordert,
entscheidende Maßregeln zu ergreifen, um die Ge-
biete zu erweitern, woher die Baumwolle bezogen
werden kann. Mit der Zuspitzung der Lage hat
sich nun die Verkürzung der Arbeitszeit und teil-
weise Betriebseinschränkung allmählich auf fast
alle Baumwollindustrieländer ausgedehnt. Auch
in Amerika mußte die Baumwollindustrie dazu
übergehen, und zwar ist sie zu einer einheitlichen
Einschränkung übergegangen, welche sie als Ret-
tung vor einem viel schwereren Unglück bezeich-
nete. In den letzten Monaten haben sich die
Nachrichten über die Betriebseinschränkungen so
vermehrt, daß sich vielfach bereits eine Notlage
der Arbeiter ergab. Anfang März war die inter-
nationale Lage der Baumwollindustrie folgende:
Die italienischen Baumwollspinner feiern
1½ Tage in der Woche. In der Schweiz hat
die Baumwollindustrie eine 15 prozentige Be-
triebseinschränkung, also um ½, eingeführt, welche
vom 1. Mai ab dauern soll. In Rußland war
die Einschränkung keine einheitliche. Im Lodzer
Bezirk sind eine große Anzahl Spindeln zum
Stillstand gekommen, während in Moskau und
Umgebung die Spinner die Einschränkung für das
Frühjahr und den Sommer beschlossen. In
Japan findet eine einheitliche Einschränkung in Höhe
von 27 v. H. bis Ende April statt. Eine üÜber-
einstimmung haben die österreichischen Baumwoll-
spinner erzielt. Dort schränken 90 v. H. um ½
auf sechs Monate, oder um ¼ auf acht Monate
ein. In Belgien wird ein Tag in der Woche
gefeiert. Die durchschnittliche Betriebseinschrän=
kung ist etwa 10 v. H., während in Frankreich
nur freiwillige Betriebseinschränkungen Platz ge-
griffen haben. Ebenso ist es in Deutschland,
wo eine einheitlich organisierte Betriebseinschrän=
kung noch nicht durchgeführt werden konnte. Das
elsassisch-lothringische Syndikat der Baumwoll=
industriellen hat eine Betriebsreduktion einge-
führt. In England arbeiten die Spinner ameri-
kanischer Baumwolle schon länger als sieben Mo-
nate short time. Am bemerkenswertesten ist aber
die seit Ende 1909 einsetzende kritische Lage der
Baumwollindustrie in den Vereinigten Staaten
selbst. Sowohl im Nordosten wie im Süden
findet mehr und mehr eine Einschränkung des
Betriebes statt, obwohl reichliche Aufträge vor-
lagen. Die Produktion kann mit der Preis-
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