Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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große Opfer gebracht, um sie zu fördern, und hat 
sie bis ins kleinste organisiert. Pocken, Pest, 
Cholera und andere gefürchtete Gäste früherer 
Zeiten sind schon längst als Volksseuchen von der 
Bildfläche verschwunden; und wenn sie gelegentlich 
vor den Toren Deutschlands erscheinen, so sperren 
ihnen unsere Abwehrvorrichtungen fast mit völ- 
liger Sicherheit den Eingang. Gegen diejenigen 
Volkskrankheiten, die wir in unsern deutschen 
Grenzen noch haben, wie Tuberkulose, Alkoholis= 
mus u. a., ist der Kampf planmäßig und mit Er- 
folg ausgenommen. Ganz anders in unsern tro- 
pischen kolonialen Neuländern. Hier gibt es noch 
keine glatten Bahnen, in denen der Volkshygie- 
niker wandeln könnte, und in seinen Mitteln ist 
er ganz wesentlich beschränkt. 22 Arztstellen (15 
für Militär= und 7 für Zivilärzte) hat z. B. Kame- 
run auf etwa 4 Millionen Bewohner. An peku- 
niären Hilfsmitteln verfügt es über so viel, wie 
der Sanitätsetat einer einzigen mittleren Stadt in 
Deutschland erfordert; und nur ein winziger 
Bruchteil dieser Summe kann der Bekämpfung 
von Volkskrankheiten gewidmet werden; alles 
übrige muß zur Bestreitung der Erfordernisse der 
Individualhygiene verwandt werden. Gleichwohl 
ist die Notwendigkeit volksgesundheitlicher Für- 
sorge nicht etwa geringer als in Deutschland; sie 
ist viel größer und dringlicher, und ihr Zusammen- 
hang mit der Volkswirtschaft noch enger. Die Be- 
rechtigung dieser Behauptung wird am besten er- 
wiesen, wenn wir uns kurz vergegenwärtigen, 
welche großen Seuchen zur Zeit in unseren 
Tropenkolonien herrschen. Natürlich sind es vor 
allem die Infektionskrankheiten, welche die größte 
Rolle dabei spielen. Was Größe der Verluste be- 
trifft, so haben die Pocken die Führung. Es ver- 
gebt kein Jahr, in dem sie nicht über diesen oder 
jenen Teil einer Kolonie hinwegzögen und schwere 
Opfer forderten. Jedem, der längere Zeit im In- 
lande einer Kolonie tätig oder auf Reisen gewesen 
ist, wird das traurige Bild für immer in der Er- 
innerung haften, das sich ihm in Gegenden ge- 
boten hat, in denen die Pocken wüteten: verödete 
oder verlassene Dörfer, in einzelnen Hütten viel- 
leicht noch schwerkranke Männer und Frauen, 
Greise, Kinder, mit Blattern bedeckt, hilflos um 
ein qualmendes Feuer gelagert. Und wer es nicht 
selbst mit ansah, weil er immer nur an der durch all- 
gemeine Schutzpockenimpfungen bereits gesicherten 
Küste tätig war, der hat doch wenigstens oft geung 
davon berichten hören. Mit Vorliebe breiten sie 
sich aus entlang der großen Handelsstraßen, wo die 
Verschleppung der Krankheitskeime von einem 
Orte zum andern durch den regen Verkehr beson- 
ders begünstigt ist; oder sie treten, wie einst in 
Europa, auch als Begleiter von Kriegszügen auf. 
Es ist schwer, genaue Zahlen für die Größe der 
  
durch sie verursachten Verluste zu nennen. Der 
genius epidemicus, die Schwere der einzelnen 
Seuchen, wechselt in beträchtlichen Grenzen. Aber 
oft sind die Verheerungen ganz fürchterlich. In 
Nordtogo erreichte ich einst ein großes Dorf, über 
das kurz zuvor die Pocken hereingebrochen waren, 
um es zu impfen. Von 1800 Einwohnern waren 
über 600 bei meinem Kommen dahingerafft. 
Durch mühsame Ermittlungen, die ich im Jahre 
1904 in der Weise anstellte, daß ich in einem 
größeren Bezirke Togos (Atakpame) bei einer 
Reihe von Häuptlingen für die letzten Jahre mög- 
lichst genau die Zahl der in ihren Dörfern an 
Pocken Gestorbenen feststellte, kam ich für das 
kleine Togo mit kaum 1 Million Einwohnern zu 
der Schätzung eines durchschnittlichen jährlichen 
Verlustes von 4000 bis 5000 Todesfällen an 
Pocken. Inzwischen wird gerade in Togo diese 
Zahl hcchstwahrscheinlich durch ausgedehnte 
Impfungen ganz bedeutend herabgedrückt worden 
sein. In Kamerun herrschen sie nicht weniger. 
Auch hier werden wir fast alljährlich durch die 
Kunde des Pockenausbruchs in dieser oder jener 
Landschaft alarmiert. Man kapitalisiere sich diesen 
Verlust, und man wird eigentlich zu der Über- 
zeugung kommen müssen, daß eine weitblickende 
Okonomie recht bedeutende Summen aufwenden 
darf, um diese Verluste zu vermeiden; denn sie sind 
unwiederbringlich! Außer dem dauernden Ver- 
luste an Menschenleben sind auch die vorüber- 
gehenden Schädigungen, die durch diese Volks- 
seuche verursacht werden, in ihren wirtschaftlichen 
Folgen nicht zu unterschätzen. Ein Gebiet, in dem 
die Pocken herrschen, ist für längere Zeit wirt- 
schaftlich lahm gelegt. Die Handelsstraßen, die es 
durchziehen, müssen im Interesse einer wirksamen 
Seuchenbekämpfung gesperrt werden. Geschieht 
dies „im Interesse des Handels“ nicht oder unge- 
nügend, so ist das gleichbedeutend mit einer Ver- 
schleppung der Epidemie. So ist z. B. der Kame- 
runer Gummihandel durch eine vor 31½ Jahren 
über Südkamerun sich ausbreitende Pockenepide- 
mie empfindlich beeinträchtigt worden. Daß wir 
— soweit uns möglich ist — die wirksame Waffe in 
der Bekämpfung der Pocken, das ist die Durch- 
impfung der Bevölkerung, brauchen, ist selbst- 
verständlich und sei nur nebenbei erwähnt. Frei- 
lich: soweit uns möglich ist! Unserm Wollen ist 
so manche Grenze in der Übermacht äußerer Ver- 
hältnisse gesetzt. 
Während die Pocken eipem verheerenden 
Sturme gleich von Zeit zu Zeit über das Land 
ziehen, haben wir eine andere Volkskrankheit, die 
schleichend, aber in ungeheurer Verbreitung sich 
unter den Eingeborenen festgenistet hat, die Lepra. 
2 0 der Erwachsenen sind meiner Schätzung nach 
in Kamerun durchschnittlich damit behaftet. In
	        
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