Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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von Negern aus allen Teilen des Landes müssen 
als Arbeiter für ihn angeworben werden. Trotz 
ärztlicher Vorsichtsmaßregeln und Behandlung ist 
die Sterblichkeit unter diesen Angeworbenen an 
schweren Erkrankungen der Verdauungsorgane 
und Atmungswege, vornehmlich Dysenterie und 
Lungenentzündung, sehr groß. Die ungewohnte 
Lebensweise, fremdartige Ernährung, zum Teil 
andersartiges Klima, ungewohnte Arbeit, Durch- 
nässungen, ungewohnte Unterkunft und manches 
andere mehr beeinträchtigt ihren Gesundheits- 
zustand, setzt ihre Widerstandskraft herab und be- 
reitet den Boden für eine Infektion vor, deren 
Ausbreitung durch enges Zusammenleben beför- 
dert wird. Dazu kommt, daß entgegen der in 
Laienkreisen noch viel verbreiteten Ansicht die 
Naturvölker keineswegs eine besonders große Un- 
empfindlichkeit oder Anpassungsfähigkeit gegen- 
über einem Wechsel ihrer äußeren Lebensbedin- 
gungen besitzen. Als augenfälliger Beweis für die 
Widerstandslosigkeit bei einem solchen Wechsel ist 
mir das Schicksal einer Kompagnie kriegsgefan- 
gener Witbois aus der Zeit des südwestafrika- 
nischen Aufstandes in der Erinnerung. Diese 
Leute, ursprünglich im Dienste der deutschen 
Schutztruppe, standen im Verdacht, meutern zu 
wollen und wurden deshalb nach Togo verschickt, 
um dort, unschädlich fürs Aufstandsgebiet, ver- 
wahrt zu werden. Es waren über 100 Mann, die 
vor etwa 4½ Jahren in Lome eintrafen. Schon 
nach wenigen Wochen war der größte Teil von 
ihnen schwer an Malaria und Dysenterie erkrankt; 
zu irgend einer regelrechten Arbeit konnten sie 
überhaupt nicht verwendet werden. Der Regie- 
rungsarzt in Lome mühte sich vergeblich ab, sie in 
leidlichem Gesundheitszustande zu erhalten. Ihrer 
Rücksendung nach Südwest, wo sie vielleicht in 
einem Konzentrationslager hätten isoliert werden 
können, wurde von dort widersprochen. So starben 
im Laufe der nächsten Monate über die Hälfte von 
ihnen trotz aller ärztlichen Sorgfalt und Mühe. 
Schließlich wurde der zusammengeschmolzene Rest 
nach Buca in Kamerun gebracht, wo man hoffte, 
sie in fieberfreiem Klima besser erhalten zu können. 
Auch hier starben trotz ärztlicher Fürsorge noch 
eine Anzahl von ihnen, bis endlich das noch übrig- 
gebliebene Drittel wieder nach Südwestafrika, wo“ 
inzwischen der Aufstand seinem Ende zuneigte, zu- 
rückgebracht wurde. Wenn auch nicht in so hohem 
Maße wie in diesem Falle, so zeigen sich doch ganz 
im allgemeinen die Naturvölker sehr empfindlich 
gegen jeden einschneidenden Wechsel in ihrem Da- 
sein. Weiter hat das Fernsein vieler Tausender 
jugendlicher Eingeborenen von ihren Heimats- 
dörfern natürlich eine zeitweise verminderte Pro- 
duktivität des Landes im Gefolge, die sich teils in 
verminderter Ausfuhr, teils aber auch in herab- 
  
gesetzter Ernährungsmöglichkeit der Eingeborenen 
in den von der Arbeitsgestellung besonders stark 
betroffenen Ortschaften äußern muß; ganz ab- 
gesehen von der wahrscheinlich nicht unwesentlich 
beeinträchtigten Fortpflanzungsquote der be- 
treffenden Jahre. Man sieht jedenfalls, daß der 
wirtschaftlich unerläßliche Bahnbau nicht ohne Ge- 
fahren für die Volksgesundheit der Eingeborenen 
geleistet werden kann. 
Ein zweites Beispiel: der Alkohol. Es seien 
bei diesem zwar oft, meiner Überzeugung nach aber 
noch nicht mit genügendem Erfolge erörterten 
Thema nur einige wenige Gesichtspunkte heraus- 
gehoben, die weniger beachtet zu werden pflegen, 
die aber gerade in den der Volkshygiene und Ko- 
lonialwirtschaft gemeinsamen Bereich gehören. 
Ein großer Teil des Handels unserer westafrika- 
nischen Tropenkolonien ist zur Zeit bekanntlich 
noch auf dem Schnapshandel begründet. Ein sehr 
hoher Prozentsatz ihrer Zolleinnahmen und damit 
der eigenen Einnahmen der Kolonien selbst wird 
vom Einfuhrzoll für Schnaps aufgebracht. Wei- 
tere ganz ansehnliche Einnahmen werden aus den 
Lizenzgebühren für den Schnapshandel erzielt. 
Mit anderen Worten: die Firmen machen gute 
Geschäfte durch den Alkoholkonsum der Schwarzen, 
der Regierung ist er eine stattliche Einnahme- 
quelle, zweifellos. Der Alkohol ist also schein- 
bar ein sehr wesentlicher, positiver kolonialwirt- 
schaftlicher Faktor. Und doch muß der Hygieniker 
mit aller Macht die Naturvölker vor ihm zu be- 
wahren trachten, gerade aus — volkswirtschaft- 
lichen Gründen. Denn fassen wir die Fern= und 
Dauerwirkungen ins Auge, so verwandelt sich 
diese scheinbar positive Seite des Schnapshandels 
in ein gewaltiges Minus. Kultur= und Welt- 
geschichte liefern genügend Beispiele dafür, in 
welcher Wechselwirkung Volkskraft und Alkoholis- 
mus im Völkerleben stehen. Für unsere kolonialen 
Völker ist die Frage des Alkohols eine Frage auf 
Sein oder Nichtsein. Dabei ist es nicht einmal der 
einzelne schwere Säufer, der von einem Rausch 
zum andern taumelt, der dem Volkshygieniker be- 
sondere Bedenken verursacht. Er ist für ihn eine 
betrübliche Einzelerscheinung, endet durchschnitt- 
lich bald in Sterilität und ist mit seinem Tode für 
die fernere Entwicklung der Rasse ausgemerzt. 
Aber der allgemeine, in die Gesamtheit eindrin- 
gende Konsum, der für die einzelnen gar keine auf- 
fällige Höhe zu erreichen braucht, der sie auch in 
ihrer quantitativen Zeugungsfähigkeit nicht be- 
einträchtigt, wohl aber sic in breiten Schichten so 
weit schädigt, daß sie eine minderwertige Nach- 
kommenschaft erzielen. der ist's, der ihm Sorge 
machen muß, denn er führt die Rasse auf den Weg 
der Entartung. 
Wir sehen an 
diesen willkürlich heraus-
	        
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