Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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französische Seite zu ziehen. Man ließ es sich 
etwas kosten, um diesen Flüchtling, mit dem 
ganzen Pomp orientalischer Prachtentfaltung aus- 
gestattet, unter dem Schutz einer besonders zu- 
verlässigen Truppe dem Oheim direkt unter die 
Nase zu rücken, indem man ihn unmittelbar an 
der Wadai-Grenze ansiedelte. Und man hatte 
richtig kalkuliert bei der Hoffnung auf endgültigen 
Bruch: wie rotes Tuch auf den Stier wirkte die 
herausfordernde Position des Abtrünnigen auf 
die Rach= und Habgier eines Dudmurrah; ohne 
überhaupt auf den Gedanken zu kommen, durch 
Aussöhnung der drohenden Gefahr zu begegnen, 
ließ er sich zu übereilten Rachezügen verleiten, 
die ihm blutige Denkzettel eintrugen. Und nun 
kehrte sich seine sinnlose Wut gegen die vermeint- 
liche Unfähigkeit seiner Heeresführer. Damit hatten 
die Franzosen gewonnenes Spiel. In dem Maße 
wie ihre Senegalesentruppe sich immer mehr dem 
numerisch weit überlegenen Gegner gewachsen 
fühlte, verloren Dudmurrahs Scharen das Ver- 
trauen zu ihren neuen und unerfahrenen Führern 
und seine Verbündeten den Glauben an den 
glücklichen Stern des einst so gefürchteten Herrschers. 
In jahrelangem Zuwarten hat man fran- 
zösischerseits diese günstige Entwicklung der Dinge 
verfolgt und gefördert, soweit das in unauffälliger 
Weise möglich war. Dank ihres ausgezeichneten 
Nachrichtenwesens fanden sie darauf auch den 
richtigen Zeitpunkt, Wadai zu isolieren. 
Zu Beginn 1908 fiel N'Dele, die Hauptstadt 
von Dar Kouti im Südosten, und der bislang 
Wadai verbündete Sultan mußte wohl oder übel 
seine Verbindungen mit Wadai lösen, um eine 
französische Besatzung in seine Mauern aufzu- 
nehmen. Nur wenige Monate später besetzten 
alsdann die Franzosen auf dem anderen Flügel 
Arada und unterbanden damit die Unterstützung 
Wadais durch Borku im Norden. Zwei Gegen- 
streiche Dudmurrahs aber schlugen fehl; bei Diua 
holte er sich zuletzt im Juni 1908 eine empfindliche 
Schlappe, die ihm nicht allein 24 Fahnen und 
2000 Tote kostete, sondern durch den Verlust des. 
einzigen ihm noch verbliebenen befähigteren Ober- 
befehlshabers, Mahamid, ganz besonders empfind- 
lich wurde. 
Noch ein ganzes Jahr aber ließ der ver- 
nichtende Schlag der Franzosen auf sich warten. 
Nicht ohne Grund. Denn hinter Wadai stand 
und steht der weit verzweigte Orden des fremden- 
feindlichen Senussismus mit seinem Zentrum in 
Tibesti (nördlich Wadai), der den Ungläubigen 
samt und sonders Tod und Verderben zugeschworen 
hat. Vorübergehend schien es, als habe er eine 
entscheidende Offensive über Arada nach dem 
Tsadseegebiet beschlossen, um seine Vorposition in 
Wadai zu retten. Sobald es sich indes heraus- 
  
stellte, daß seine Unternehmungen auf bloße 
Demonstrationen hinausliefen, griff Frankreich zu, 
und Abecher, die Hauptstadt Wadais, fiel in den 
ersten Junitagen des laufenden Jahres. Dud- 
murrah aber rettete sich nach Tibesti. 
Eine glänzende Operation ist damit zum Ab- 
schluß gelangt; Frankreich hat allen Grund, stolz 
zu sein auf seinen Erfolg. Mit welcher Präzision 
sein Nachrichten= und Angriffsapparat gearbeitet 
hat, erhellt wohl am besten aus der Tatsache, 
daß der letzte Schlag fast mühelos von noch nicht 
der Hälfte der Kräfte geführt wurde, die hierfür 
zu Gebote standen. 
So stehen denn heute der französischen Er- 
oberungs= und Einigungspolitik in Zentralafrika 
in der Hauptsache nur noch zwei unbesiegte 
Stämme gegenüber: das bereits genannte 
Tibesti-Borku im Nordosten ihres Niger-Militär= 
territoriums und im Westen das Sahel-Gebiet. 
Die früher so gefürchteten Wüstenräuber der 
Tuaregs aber haben viel von dem Nymbus ihrer 
ungestümen Überraschungen verloren, seit Frank- 
reich seine Verbindungen durch die Wüste mit 
festen Posten und fliegenden Abteilungen gesichert 
und jene Störenfriede mehrmals mit blutigen 
Köpfen heimgesandt hat, dank einer eigens für 
die Sonderverhältnisse der Wüste vor Jahren ge- 
schaffenen Eingeborenentruppe, „compagnies saha- 
riennes“ genannt, die, mit Artillerie und Reiterei 
ausgestattet, zunächst hauptsächlich in der nörd- 
licheren Sahara Verwendung fanden. 
Neben diesen Sahara-Kompagnien des Nordens 
tauchten seit längerer Zeit in den südlicheren Ge- 
bieten sogenannte „unités méharistes“ (mé- 
hariste = Kamelreiter) auf, bald auch „unités 
méharistes regulaires“" genannt, die im Mai 
vorigen Jahres einen Ausnahmesold bewilligt er- 
hielten und sich neuerdings teilweise zu „com- 
pagnies méharistes“ ausgewachsen haben. 
Eine kürzlich erlassene Instruktion des Komman- 
danten des französischen Niger-Militärterritoriums 
stellt diesen Abteilungen scharf umgrenzte Spezial- 
aufgaben. 
Diese Maßnahmen dürften kaum des inneren 
Zusammenhanges mit der soeben beendeten Wadai- 
Aktion entbehren; wenn wir in jenen Kamelreiter- 
Abteilungen die besondere Aufklärungstruppe gegen 
die beiden noch nicht unterworfenen Gegner ver- 
muten, so bildet die erwähnte Instruktion gewisser- 
maßen den Aufstakt zu dem nächsten Operations- 
schauspiel in Zentralafrika. Noch ist nicht zu er- 
sohen, welchen der beiden zuerst Frankreich seine 
besondere Gunst zuzuwenden sich entschlossen hat. 
In Gao (Westen) sowohl wie für Zinder im 
Osten sind noch besondere Kamelreiter-Abteilungen 
für den inneren Polizeidienst vorgesehen worden, 
die jene Aufklärungsabteilungen unterstützen und
	        
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