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Unterlagen zur Verteidigung des Kongostaates in
nur bei ganz seltenen Gelegenheiten") und ganz
den Kammern liefern.
Prüft man an der Hand der im belgischen
Kolonialministerium aufbewahrten Strafakten die
latsächlichen Verhältnisse näher, und geht man
den einzelnen Fällen nach, so ergibt sich doch
namentlich hinsichtlich der wirklich erfolgten Be-
strafung von schweren Ausschreitungen gegen die
Eingeborenen öfters ein wesentlich anderes Bild,
als dasjenige es ist, das solche amtlichen Verlaut-
barungen zu erwecken sich bemühten.
Zwischen Belgien und dem Kongo entwickelte
sich im Laufe der Jahre ein rasch zunehmender
Personenverkehr. Immer mehr Beamte wurden
angestellt, die zahlreichen Erwerbsgesellschaften
bedingten ein immer größer werdendes Personal,
jeder Postdampfer brachte weitere Angestellte und
führte andere in die Heimat zurück. Die Ver-
mutung läge doch nahe, daß ein solcher reger
Personenverkehr es dem Kongostaat im Interesse
einer geordneten Justizpflege hätte erwünscht er-
scheinen lassen müssen, gerade mit Belgien so bald
die großen läßt man laufen“ verfahren.
als möglich einen Auslieferungsvertrag abzu-
Duldung und Billigung der Vorgesetzten die Ein-
schließen, der es ihm ermöglichte, diejenigen, die
sich am Kongo irgendeines Verbrechens
Vergehens hatten zuschulden kommen lassen, im
Mutterland zu verfolgen und vor seine Gerichte
zu ziehen, nachdem es ihnen auf die eine oder
andere Weise vorläufig gelungen war, sich der
kongolesischen Instiz zu entziehen.
oder
Mit Portugal und dessen Kolonien hatte der
Kongostaat bereits am 27. April 1888,
Deutschland am 25. Juli 1890,
mit
mit Liberia
am 21. November 1894, mit Spanien am 30. Juli
1895,
einen solchen wechselseitigen Auslieferungsvertrag
mit Frankreich am 18. November 1899
zur Anwendung kamen,
zustande gebracht. Aber mit dem ihm am nächsten
stehenden Belgien wurde ein solcher Vertrag höchst
auffälligerweise erst am 20. Dezember 1898 ab-
geschlossen. Den
legislativen Maßnahme gab,
schließlichen Anstoß zu dieser
wie besonders her-
vorgehoben zu werden verdient, auch nicht etwa
ein am Kongo vorgekommenes Verbrechen, sondern,
wie die Akten ergeben, ein in Gent durch einen
begangener Doppelmord. Der Mann war im
Dezember 1900 in contumaciam zum Tode ver-
mieilt worden. Von der niederländischen Re-
gierung wurde er auch gesucht und sie nahm an,
daß er vielleicht nach dem Kongo geflüchtet sein
könne. Erst als vom Haag ein diesbezüglicher
Msslieferungsantrag in Brüssel gestellt wurde,
entschloß man sich dort, einen förmlichen Aus-
lieferungsvertrag zrichen dem Kongostaat und
Belgien abzuschließen
„Wie aber wurde nun dieser Vertrag gehand-
abt?
Er wurde, wie aus den Akten hervorgeht,
besonders kaum in den Fällen zur Anwendung
gebracht, wenn es sich um Verbrechen der hier
in Rede stehenden Art handelte.
Zur Blütezeit des leopoldinischen Systems der
Kantschukausbentung des Kongo erscheint es fast
als Regel, daß die Agenten des Staates oder der
Gesellschaften, mit denen die Gerichte wegen Ver-
gewaltigung der Eingeborenen sich zu beschäftigen
hatten, nur zu leicht Gelegenheit fanden, unter
Gesundheitsvorwänden den Kongo zu verlassen,
namentlich, wenn ihnen von irgendeiner Seite
eine rechtzeitige Warnung zugekommen war, ehe
zu einer Verhaftung geschritten werden konnte,
und daß sie dann in Belgien trotz des bestehenden
Auslieferungsvertrages unbehelligt blieben. Na-
mentlich galt das in Fällen, bei denen Offiziere
oder höhere Beamte in solche Vorkommnisse ver-
wickelt waren. Dann wurde nur zu häufig nach
dem Sprichwort „die kleinen Diebe hängt man,
Die
untergeordneten Beamten, die unter offenbarer
geborenen zur möglichst ausgiebigen Kautschuk-
lieferung unter Anwendung der vorschriftswidrigsten
Mittel „angeregt“ hatten, wurden gegebenenfalls
zur Verantwortung gezogen, die Vorgesetzten aber,
unter deren stillen Duldung und Mitwissenschaft
die Grausamkeiten begangen worden waren, ließ
man unbehelligt, namentlich, wenn sie sich in
Belgien befanden und sich hüteten, nach dem
Kongo zurückzukehren.
Die Akten ergeben, daß auch die übrigen
Auslieferungsverträge fast nur in solchen Fällen
in denen es sich um
Polizei= und Untersuchungsgefangene handelte,
denen es gelungen war, aus dem Gefängnis in
Boma alf portugiesisches Gebiet zu flüchten. Vier
solche Fälle waren in den Akten bis 1908 zu finden.
*) Soweit die begüglichen Akten erkennen lassen,
ist der Auslieferungsvertrag zwischen dem Kongostaat
und Belgien bis zur zeit der Annexion des ersteren
. · « nur Kweimal zur praktischen Anwendung gekommen.
schon vielfach vorbestrasten Holländer Dejong
worden war.
Das eine Mal im Fall eines Exbankiers Van den
Dal aus Brüssel, der zahlreiche Kunden betrogen hatte
und deshalb dort zu acht Jahren Gefängnis verurteilt
Er war nach dem Kongo entflohen, wo
er bei einer Gesellschaft Stellung gefunden hatte.
Der zweite Fall betraf einen Exagenten der Magnzins
Cnéraux, Rhein, Franzose von Geburt, der in Ma-
tadi seiner Gesellschaft 9600 Fr. in Waren und Geld
nunterschlagen hatte und deshalb zu sieben Monaten
Gefängnis verurteilt worden war. Es gelang ihm.
nach Frankreich zu entflichen, wo er als Franzose nicht
ausgeliefert werden konnte. Schließlich tauchte er in
Brüssel auf, wurde dort verhaftet und auf telegraphi-
schen Antrag von Boma aus am 16. Juli 1900 von
Antwerpen nach dort verschifft, um seine Strafe zu
verbüßen. —
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