Full text: Geheime Mächte - Internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute.

74 Kriegsnachrichtendienst in den neutralen Ländern 
Für einen ständigen Nachrichtendienst hatte es hier nicht nur an Geld- 
mitteln, sondern auch an ausreichendem Interesse gefehlt. 
Hieran änderte auch der Ausbruch des Weltkrieges zunächst nichts. 
Erst ganz allmählich trat die Möglichkeit der Teilnahme der Vereinigten 
Staaten am Weltkrieg in das Bewußtsein der deutschen politischen und 
militärischen Kriegführung. Als diese Frage anfing, zur Entscheidung 
zu drängen, war der Generalstab zunächst noch völlig auf seine aus 
dem Frieden stammende Kenntnis über die militärischen Voraussetzungen 
einer Kriegsteilnahme Amerikas angewiesen. Nicht auf Grund von 
Nachrichten, sondern auf Grund eigener Berechnungen entstand ein Bild, 
das durch den tatsächlichen Verlauf der Teilnahme Amerikas am Kriege 
vollauf bestätigt wurde. Es ist nicht richtig, daß der deutsche General-= 
stab sich in einer Täuschung befunden habe über die Kräfte, die Amerika 
auf das europäische Festland werfen, oder über die Zeiten, in denen 
dies geschehen konnte. Das Nähere hierüber wird bei Betrachtung der 
Ergebnisse des Nachrichtendienstes gesagt werden. 
Immerhin mußte es versucht werden, auch über die militärischen 
Vorgänge in Amerika ein unmittelbares Bild zu gewinnen. Hierbei ist 
zu unterscheiden zwischen dem ersten Teil des Krieges, in dem Amerika 
Deutschlands Gegner durch die Lieferung von Munition und Kriegs- 
material unterstützte, und dem zweiten Teil des Krieges, in dem es 
kämpfend auf Seite der Entente am Kriege teilnahm. Schon die Fest- 
stellung der erstgenannten Vorgänge stieß auf außerordentliche Schwierig- 
keiten. Der Weg nach Amerika war im Westen durch England, Frank- 
reich und Italien, im Osten durch Rußland und Japan verlegt. Das 
Weltmeer wurde von England beherrscht, welches eine fast nicht zu 
durchbrechende Aufsicht über den Verkehr ausübte. Es war so gut wie 
ausgeschlossen, Deutsche zur Erkundung nach Amerika zu entsenden. 
Es blieb zu versuchen, von Südamerika aus Aufklärung zu schaffen. 
Aber selbst die Entsendung zuverlässiger Personen dorthin wurde fast 
unmöglich und glückte nur in einzelnen seltenen Fällen. Dieselben 
Schwierigkeiten fand die Nachrichtenmitteilung aus Amerika. Unter 
diesen Umständen entwickelte sich im amerikanischen Kontinent eine 
selbständige Tätigkeit dort wohnender Deutschfreunde, die aber nicht 
einem organisierten Nachrichtendienst zu vergleichen war, die im Gegenteil 
schwere Gefahren in sich barg, indem die Nachrichtenquellen in Deutsch- 
land unbekannt und auf ihre Zuverlässigkeit kaum zu beurteilen waren.
	        
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