86 Auf den Kriegsschauplätzen
bar. Die russischen Gefangenen glaubten nicht mehr an einen russischen
Sieg. Viele sprachen davon, daß Rußland sich für die Entente verblute.
Heer und Volk wurden unzufrieden über die lange Dauer des Krieges,
dessen Zweck ihnen unverständlich war. Die Unterhaltung mit kriegs-
gefangenen Offizieren zeigte, daß die Friedensstimmung bis in die
höchsten Kreise und auch beim russischen Hof fruchtbaren Boden ge-
funden hatte.
In diesem Augenblick war an der Front deutlich erkennbar, wie der
Nachrichtendienst Frankreichs, der sich bis dahin auffallend passiv ver-
halten hatte, mit der Propaganda unter den russischen Truppen ein-
setzte. Der Zar und seine Ratgeber, die dem Frieden geneigt waren,
wurden für die lange Kriegsdauer, für den Verlust der Schlachten, für
alle Entbehrungen und Opfer verantwortlich gemacht. Der Zweck war
aber nicht, den Frieden zu fördern, sondern die friedenswillige und
darum für die Entente gefährliche Jarenregierung zu stürzen. Die Revo-
lution wurde vorbereitet. Es rächte sich an Rußland, daß es dem
französischen Nachrichtendienst seit Anfang des Jahrhunderts Gastrecht
gewährt hatte. Dieser nutzte die gewonnene Machtstellung aus und
wandte sich gegen die Regierung.
Gleichzeitig wurde für die Demokraten und Sozialrevolutionäre unter
den Truppen Stimmung gemacht. So ging die Märzrevolution, die zu-
nächst die Kadetten und dann Kerenski ans Ruder brachte, propagan-
distisch im russischen Heer gut vorbereitet, vorüber, ohne dieses wesentlich
zu erschüttern. Der Soldat erblickte in der Revolution das Kriegsende
und die Freiheit, denn unter dem garen hatte er, so war ihm gelehrt
worden, lange genug für fernliegende Ziele kämpfen und leiden müssen.
Die kriegsmüde Armee begrüßte daher den Umsturz mit Begeisterung.
Vorübergehend löste der Friedenstaumel auch hier und da Auflösung
und Anarchie an der Front aus, wie auch das ganze große Rußland sich
in einem Freiheitsrausch befand.
Ein Angriff der Mittelmächte in diesen Tagen hätte erheblich weniger
Widerstand gefunden als der der Allikerten im Westen im Herbst 1918
gegen das von der heraufziehenden Revolution geschwächte deutsche Heer.
Es kam aber auch auf russischer Seite anders, als später auf deutscher.
Der neue demokratische Außenminister Professor Miljukow rief zum
entscheidenden Kampf auf, der demokratische Kriegsminister Gutschkow
bat ostentativ um seine Entlassung und um ein Kommando an der Front,