Besetzung der deutschen Ostgrenze. 63
übernahm den Oberbefehl über diese vier verstärkten Korps und er ent—
ledigte sich des peinlichen Auftrages nach seiner großen Weise. Selbst die
grollenden Edelleute in Polen beugten sich vor der milden Hoheit des
alten Helden. Er begegnete ihnen nicht ohne geringschätzige Ironie, da
er ihre unausrottbare Vorliebe für krumme Wege kannte. In Kleinig—
keiten nachsichtig, hielt er doch streng darauf, daß der Zuzug zu den
Aufständischen aufhörte; und es ward hohe Zeit, denn unbekümmert um
die Friedensmahnungen ihres Erzbischofs Dunin hatten sich schon an
12 000 Mann aus der Provinz den Polen angeschlossen. Der Feld-
marschall war angewiesen, dem russischen Heere die Verpflegung zu er-
leichtern, aber nur im äußersten Notfall in den Kampf einzugreifen, da
die Russen selbst, um ihres Ansehens willen, dies Einschreiten nicht
wünschten. Von Diebitschs Feldherrngaben dachte er nicht hoch, dieser
ganze polnische Krieg erschien ihm nur als eine geringfügige Episode;
sein Blick blieb nach Westen gerichtet, seine letzten Gedanken galten dem
nahen Kampfe gegen das Karthago an der Seine.
Also mußte fast die Hälfte des preußischen Heeres zur Sicherung
der Ostgrenze verwendet werden. Nicht ganz so schwer hatte OÖsterreich
unter den polnischen Wirren zu leiden. Für Galizien stand wenig zu be-
fürchten, weil die ruthenische Bauernschaft ihre sarmatischen Herren ver-
abscheute und auch die polnischen Edelleute dieses Landstrichs bei weitem
weniger Eifer für den Aufstand zeigten, als die preußischen Polen. Von
jeher war das katholische Osterreich den Polen minder verhaßt gewesen
als die beiden anderen Teilungsmächte, und da nun der mächtige ma-
gyarische Adel jede Niederlage seiner russischen Todfeinde mit stürmischer,
fast drohender Freude begrüßte, da der Statthalter von Galizien, Fürst
Lobkowitz, seine polnische Gesinnung kaum verbarg und selbst das stille
Wien für die sarmatischen Helden sich begeisterte, so verfielen die Polen in
leichtsinnige Selbsttäuschungen. In der argen Schule ihres Verschwörer-
lebens hatten sie längst gelernt, Hoffnung für Wirklichkeit, leere Worte
für Taten zu nehmen; an allen Höfen arbeiteten ihre Sendboten, und
jede hingeworfene Außerung menschlichen Mitgefühls klang ihnen wie
ein Versprechen kriegerischer Hilfe. Adam Czartoryski warf unter seinen
aristokratischen Freunden die Frage auf, ob man nicht den Erzherzog
Karl zum Könige der Polen wählen und also Österreichs Beistand ge-
winnen solle; und doch mußte er wissen, daß gerade dieser Name den
mißtrauischen Kaiser Franz nur abschrecken konnte. Er ließ durch seinen
Bruder Konstantin die Vermittlung der Hofburg erbitten und schrieb
dann selbst an Metternich, um wegen der Wahl des Erzherzogs anzu-
fragen. Nachher war Graf Clam, der Vertraute des Staatskanzlers
in tiefem Geheimnis nach Mähren eingeladen, wo ihn polnische Unter-
händler erwarteten. Als der Aufstand schon im Erlöschen war, kam
Czartoryskis Neffe Graf Zamoiski nach Wien, bat nochmals um Öster-