Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
Protest und Denkschrift des preuß. Episcopats wider die 4 
Falk'schen kirchen-politischen Gesetzesentwürfe: 
„Abgesehen davon, daß nach natirrlichem und positivem Rechte, und nach 
unvordenklicher Uebung in deutschen Landen die Verhältnisse zwischen Staat 
und Kirche nur durch beiderseitiges Uebereinkommen rechtmäßig und für 
beide Theile ersprießlich geordnet werden können, hätten die preußischen Bi- 
schöfe zum Mindesten erwarten müssen, daß ihnen Gelegenheit geboten würde, 
über so wichtige, die katholische Kirche betreffende Gesetzentwürfe sich auszu- 
sprechen, und die katholischen Grundsätze geltend zu machen. Sie würden 
dann in der Lage gewesen sein, einzelne Bestimmungen der in Rede stehenden 
Gesetzentwürfe ohne Pflichtverletzung zu acceptiren; für einige andere würde 
vielleicht eine Vereinbarung mit dem Apostolischen Stuhle zu erreichen ge- 
wesen sein. Da nunmehr aber die Gesetzesvorlagen, obgleich sie in das 
innerste Leben der Kirche einschneiden, von der kgl. Staatsregierung kraft 
der von derselben in Anspruch genommenen Machtvollkommenheit einseitig 
und ohne alle vorgängige Verständigung und Verhandlung mit den berech- 
tigten kirchlichen Organen erlassen worden sind, so bleibt für diese nichts 
übrig, als von vornherein gegen alle, die natürlichen und wohlerworbenen 
Rechte der katholischen Kirche und die Gewissens= und Religions-Freiheiten 
der Katholiken verletzende Bestimmungen dieser Entwürfe und der etwa auf 
Grund derselben zu erlassenden Gesetze förmliche und feierliche Ver- 
wahrung einzulegen. 
Wir erlauben uns über einige Punkte folgende Bemerkungen beizufügen, 
die aber bei der gebotenen Eile den Gegenstand keineswegs erschöpfen, weshalb 
wir uns weitere Rechtsausführungen und Begründungen vorbehalten. 
Nach der katholischen Glaubenslehre, die wir Katholiken als auf gött- 
licher Offenbarung beruhend unbedingt für wahr halten, und so gewiß zu 
glauben berechtigt sind, als unsere Gewissensfreiheit nicht angetastet wer- 
den darf; 
 Nach dem natürlichen Rechte, der Natur der Dinge und den Gesetzen der 
Vernunft; 
Nach dem historischen und wohlerworbenen Rechte der katholischen Kirche 
in Deutschland und der katholischen Landestheile der Monarchie, welche nicht 
rechtlos, sondern mit dem durch feierliches Königswort gewährleisteten Rechte 
des vollen und ungeschmälerten Fortbestandes ihrer Religion und Kirche dem 
Königreiche Preußen einverleibt wurden; 
Nach den zwischen dem Apostolischen Stuhle und der Krone Preußen 
resp. den andern betreffenden Landestheilen getroffenen Vereinbarungen und 
den darauf beruhenden Circumscriptions-Bullen; 
Endlich nach den dieses Recht der katholischen Kirche wie den andern 
großen christlichen Confessionen gewährleistenden Bestimmungen der preußischen 
Verfassung:  
Besitzt die katholische Kirche in Preußen das unantastbare und unver- 
äußerliche Recht, in der ganzen Integrität ihrer Glaubens= und Sittenlehre, 
ihrer Verfassung und Disciplin zu bestehen, und ihre Angelegenheiten durch 
ihre rechtmäßigen Organe zu ordnen und zu verwalten. 
Das allererste und allerwesentlichste Recht eines jeden katholischen Bis- 
thums und eines jeden Katholiken ist aber das Recht, eben der Einen katho- 
lischen Kirche, deren Oberhaupt der Papst ist, als Glied anzugehören, und 
daher mit dem Papste, der nach katholischer Glaubenslehre kraft göttlicher 
Einsetzung das Fundament und der oberste Hirt der ganzen katholischen 
Kirche und aller Theile derselben ist, in der Einheit des Glaubens und un- 
gehemmter Lebensverbindung zu stehen und zu bleiben. 
Das zweite, nicht minder wesentliche Recht eines jeden katholischen Bis- 
thums und eines jeden Katholiken besteht darin, in religiösen und kirchlichen 
Dingen von Niemand Anderm, als den zuständigen, rechtmäßigen kirchlichen