Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 12.) 37 
Gesetz im Herrenhause freudigen Herzens nicht vertreten, werde sich 
aber bemühen, daß ein praktisches Ergebnis herauskomme. 
12. Februar. Das „Deutsche Tageblatt“ bringt folgenden 
Artikel „Ein ernstes Wort zur Lage“: 
„In der öffentlichen Meinung tritt neuerdings eine starke Strömung 
einer verdrießlichen und das Gefühl des Unbehagens weiterpflanzenden 
Stimmung zu Tage, und es läßt sich leider nicht leugnen, daß dieses Miß- 
vergnügen hier und da auch in konservativen Kreisen in einer Form zum 
Ausdruck kommt, die sich von der seit Jahren und mit besonderem Nachdruck 
unter der Amtsführung des Fürsten Bismarck bekämpften nörgelnden Manier 
des Freisinns wenig oder gar nicht unterscheidet. Nun nimmt die konservative 
Partei selbstverständlich das Recht einer sachlichen Kritik gegenüber den Regie- 
rungsvorlagen und Regierungsmaßnahmen für sich in Anspruch; sie wird auch, 
wo Bedenken allgemeinerer Art gegenüber der von der Regierung auf poli- 
tischem oder wirtschaftlichem Gebiet innegehaltenen Nichtung bei ihr auf- 
tauchen, mit einem Wort der Warnung nicht zurückhalten. Ihre Kritik 
kann und darf aber aus dem sachlichen Rahmen nicht heraustreten, kann 
nicht zu Uebertreibungen und gehässigen Zuthaten persönlichen Charakters 
greifen und darf nicht zu einer tendenziösen Predigt des Mißmuts und der 
Voreingenommenheit ausarten. Die konservative Partei hat die Pflicht, und 
kann sich in keiner Lage und unter keinen Umständen von ihr abdrängen 
lassen, ihrer Gesamtstellung zur Regierung Seiner Majestät des Königs das 
Gepräge der Treue und der Loyalität zu erhalten, wie andererseits diese 
Regierung Seiner Mjestät zwar keine Parteiregierung sein kann, aber sich 
naturgemäß mit denjenigen Parteien zusammenfinden und Verständigung mit 
ihnen suchen muß, die den monarchischen Gedanken vertreten. 
„Beurteilt man von dieser Grundstellung aus das gegenwärtige Trei- 
ben in einem Teil der Presse, so ist der Eindruck einer bedauerlichen und 
ungehörigen, ja widerwärtigen Erscheinung unabweisbar. Man macht die 
Beobachtung, daß von bestimmten Zentren aus in vollbewußter Weise das 
Ansehen der Regierung untergraben und vor allem versucht wird, die Vor- 
stellung zu verbreiten, daß sie mit unzulänglichen Kräften ihrer Aufgabe 
gegenüberstehe, schwankend und haltlos, ohne festen Kurs, sich von der 
öffentlichen Meinung hin und hertreiben lasse und in ihren Verhandlungen 
mit dem Ausland durch ein zuweit gehendes Entgegenkommen das Ansehen 
und das Interesse Deutschlands schädige. Man beobachtet insbesondere, und 
das ist das Verletzendste und Unerträglichste für die konservative Empfindungs- 
weise, daß vielfach auch die Person Seiner Majestät in mehr oder weniger 
versteckter Weise in diese Kritik hineingezogen und zur Zielscheibe ebenso 
unehrerbietiger und hämischer, wie sachlich unbegründeter Ausfälle gemacht 
wird. Wir erinnern in dieser Beziehung an den gestern auszugsweise wieder- 
gegebenen Artikel der „Münchener Allgemeinen Zeitung“, über dessen Ursprung 
und Kausalzusammenhang mit dem Verdruß über einen soeben vollzogenen 
Wechsel in der Besetzung eines hohen Militärpostens kein Zweifel bestehen 
kann, und der in der Ausstreuung boshafter Unterstellungen und tendenziöser 
Unwahrheiten, so der Mitteilung, daß Seine Majestät geäußert haben solle, 
er wolle in Zukunft sein eigener Generalstabschef sein, wahrhaft Empörendes 
leistete. In dieselbe Kategorie gehört das Herumtragen von Gerüchten, die 
sich auf die Stellung des Herrn Finanzministers von Miquel beziehen, von 
angeblich bevorstehenden Teilungen der Aemter des Herrn Reichskanzlers 
von Caprivi, von Rivalitäten und Verstimmungen zwischen den Ministern 
u. s. w. fabeln und, wie bereits festgestellt, völlig aus der Luft gegriffen
	        
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