Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Greßbritaunien. (Sept. 16.) 217 
wirklich die Unabhängigkeit Belgiens wiederherstellen müsse. Deutschland 
sagt nicht ausdrücklich, daß es irgendetwas tun muß, um die Wohlfahrt 
Beigiens wiederherzustellen, oder daß es dem Lande, das es verwüstet, 
tyrannisiert und beraubt hat, Entschädigung geben wird. Aber es scheint, 
daß, wenn Belgien zustimmen will, gewisse Aenderungen in seinen inneren 
Verhältnissen vorzunehmen, es seine Unabhängigkeit zurückerhalten kann. 
Ich glaube, das ist die deutlichste Erklärung, die wir bis jetzt über diese 
Frage von irgendeinem deutschen Regierungsvertreter gehört haben. Achten 
Sie darauf, daß sie ausdrücklich zurückweist, was wir für eine Selbstver- 
ständlichkeit halten, nämlich die Wiederherstellung und Entschädigung von 
Belgien, das so unerhört behandelt worden ist. Deutschland hat jetzt der 
Bolschewikiregierung 300 Millionen Pfund Entschädigung für die Verluste 
abgezwungen, die es seiner Ansicht nach von Rußland erlitten hat. Nur 
möchte ich gern wissen, was für ein Unrecht Rußland Deutschland getan 
hat, das mit dem deutschen Unrecht an Belgien verglichen werden könnte. 
Sollen wir es ernst nehmen, daß Deutschland die 300 Millionen von Ruß- 
land nimmt und keinen Schilling Entschädigung an Belgien gibt? Wenn 
das die Meinung der deutschen Regierung ist, so kann keine Besprechung. 
etwas nützen. Es ist ein deutlicher, klarer Unterschied der Anschauungen, 
und eine Besprechung würde Schwierigkeiten dieser Art nur stärker hervor- 
treten lassen, aber sie könnte sie nicht entfernen. Dann scheint Deutschland 
auf der Rückgabe seiner Kolonien zu bestehen. Ich werde diese Frage nicht 
diskutieren, aber ich sage auch hier wieder nachdrücklichst: dies ist eine 
Frage, in der ein Mißverständnis nicht obwalten kann, und wobei die 
Deutschen auf der einen Seite stehen und wir auf der anderen. Ich halte 
es für unmöglich, daß irgendwelche Besprechungen eine große Schwierigkeit 
überbrücken könnten oder Deutschland die Macht über jene unglücklichen 
Bevölkerungen, die es mißbraucht hat, zurückgeben und Deutschland wieder 
die Kontrolle über jene Flottenstützpunkte geben könnte, die es nicht nur 
zum Kontrolleur der Verbindungslinien zwischen einem Teil des britischen 
Reiches machen würden, sondern auch zum Herren der Linie des gesamten 
Verkehrs. (Beifall.) Wie soll da durch Besprechungen eine Einigung erzielt 
werden? Ich weiß es nicht. Elsaß-Lothringen ist ein anderer Punkt. Deutsch- 
land erklärte in der letzten Woche ausdrücklich durch seinen Vizekanzler, daß 
es nicht beabsichtige, die Grenzen des Deutschen Reiches zu ändern oder 
deutsches Gebiet aufzugeben, in dem unter allen Umständen auch Elsaß- 
Lothringen einbegriffen wird. Wie kann eine Besprechung in diesem Falle 
Erfolg haben? Ich vermag es nicht zu sehen. Dann nehmen Sie Deutsch- 
lands ungeheuerliche Ansprüche im Osten Europas. Der liberale deutsche 
Vizekanzler hat erklärt, daß das Schicksal Polens und das Schicksal der- 
jenigen Völker, die der Ostgrenze Rußlands benachbart sind, sowie der 
Friede von Bukarest, der Rumänien in die Lage eines Vasallen bringt, in 
Kraft bleiben werden, und daß Deutschland allein regeln wird, welcher Grad 
der Knechtschaft seinen östlichen Nachbarn auferlegt werden soll. Das ist 
endgültig und deutlich, und ein Mißverständnis ist nicht möglich. Keine 
dialektische Gewandtheit wird Schwierigkeiten dieser Art mildern, und bis 
diejenigen, dic das Schicksal Deutschlands lenken, ob es das Hauptquartier, 
der Kaiser, der Kanzler, der Vizekanzler oder der Reichstag ist, bereit sind, 
aufrichtig zu sein oder wenigstens bereit zu einer Lösung sind, die in Ueber- 
einstimmung mit dem ist, was unsere Alliierten für die Sache der Gerech- 
tigkeit, der Zivilisation, des Rechts und des Friedens halten, sind bloße 
Besprechungen nutzlos. Ich bin mit großem Widerstande, aber fast ohne 
Zweifel zu der Schlußfolgerung geneigt, daß dieser Vorschlag nicht der 
Versuch ist, zu einem Verständigungsfrieden zu kommen, sondern ein Ver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.