Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Klopstock. Winckelmann. 95 
funden, schuf sich hier endlich eine würdige poetische Form; die ernüch— 
terte Sprache gewann Schwung, Adel, Kühnheit; die ganze Welt des 
Erhabenen wurde der deutschen Phantasie von Neuem aufgethan. Merk— 
würdig schnell begriff die Nation, ein neues Zeitalter ihrer Bildung sei 
angebrochen. Ein Schwarm von jungen Talenten drängte sich um den 
Sänger, der auch in seiner persönlichen Haltung die Hoheit der neuen 
Kunst stattlich vertrat, und erging sich in der naiven Selbstüberhebung, 
die allen kräftig aufsteigenden Epochen eigenthümlich ist, stellte das Epos 
des deutschen Meisters über Homer, seine Oden über Pindar. Eine 
phantastische Schwärmerei für das Vaterland berauschte diese Dichter— 
kreise und ist von da, langsam aber mächtig fortwirkend, bis in die 
untersten Schichten des deutschen Mittelstandes hinabgedrungen. Wie 
jede Nation, wenn sie in einem Wendepunkt ihres Daseins eintritt, aus 
den großen Erinnerungen der heimischen Vorzeit frischen Muth zu schöpfen 
pflegt, so wendete sich die Sehnsucht jener Tage der einfältigen Größe 
der germanischen Urzeit zu: nur im Schatten deutscher Eichenhaine, nur 
in dem Lande Hermann's und der Barden sollten Wahrheit und Treue, 
Kraft und Gluth ursprünglicher Empfindung heimisch sein. Wie jubelte 
das neue Deutschland, als der Sänger des Messias die junge bebende 
Streiterin, die deutsche Muse aufrief, den Wettlauf zu wagen mit der 
Dichtung Englands. 
Unterdessen erschloß Winckelmann unserem Volke die Erkenntniß der 
antiken Kunst und fand die einfältig tiefe Wahrheit wieder, daß die Kunst 
die Darstellung des Schönen ist. Er schuf zugleich die ersten formvoll— 
endeten Werke der neuen deutschen Prosa. Klar, tief und weihevoll er— 
klang die Rede dieses Priesters der Schönheit, mächtige Leidenschaft und 
große Gedanken zusammengedrängt in maßvoll knapper Form; durch „die 
erleuchtete Kürze“ seines Stiles wurde die formlos breite Redseligkeit der 
gelehrten Pedanterei zuerst überwunden. Seine Schriften gaben der 
jungen Literatur die Richtung auf das classische Ideal. Wetteifernd, in 
leidenschaftlichem Entzücken, strebten Dichtung und Wissenschaft sich zu 
erfüllen mit dem Geiste des Alterthums; und da der Mensch nur schältzt 
was er überschätzt, so wollte dies schönheitsfrohe Geschlecht, berauscht von 
der Freude der ersten Entdeckung, in der antiken Gesittung nichts sehen 
als reine Menschlichkeit, Gesundheit, Natur. Den Romanen war eigent- 
lich nur die altrömische Welt wahrhaft vertraut geworden; die Deutschen 
zog ein Gefühl der Wahlverwandtschaft zu dem hellenischen Genius. 
Ihnen zuerst unter den modernen Völkern ging das volle Verständniß 
des griechischen Lebens auf, und als ihre neue Bildung gereift war, 
durfte ihr Dichter frohlockend rufen: „Aber die Sonne Homerss, siehe, 
sie lächelt auch uns!“ Durch die Einkehr in die Formenwelt des Alter- 
thums erlangte die so oft arm und hart gescholtene deutsche Sprache 
nicht nur einen guten Theil ihres alten Reichthums wieder; sie zeigte
	        
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