Die Krisis von 1790. 109
den Seemächten einen Dreibund zur Wahrung des Besitzstandes im
Oriente; Schweden hatte schon den Krieg gegen Rußland eröffnet; auch
die Polen dachten an eine Schilderhebung wider die Czarin, traten mit
Preußen in Bündniß. Frankreich, das noch von den Zeiten Choiseul's
her mit Oesterreich verbündet war, sah sich durch den Ausbruch der Re—
volution an jeder kühnen auswärtigen Politik verhindert; der Berliner
Hof begrüßte die Anfänge der großen Umwälzung mit Freuden, weil sie
den Bestand der österreichisch-französischen Allianz gefährdete; seine Diplo—
maten sorgten dafür, Petion und andere Wortführer der Nationalver-
sammlung bei friedlicher Stimmung zu halten. Noch nie war die Lage
der Welt so verlockend gewesen für einen Waffengang wider Oesterreich;
wenn das preußische Heer, das sich an der schlesischen Grenze versam-
melte, den Stoß in's Herz der österreichischen Macht wagte, so stand ihm
auf der Straße nach Wien nirgends eine ebenbürtige Truppenmasse gegen-
über, fast die gesammte Streitmacht des Kaisers weilte ferne im Türken-
kriege. Jetzt oder niemals war der Augenblick, den deutschen Dualismus
mit dem Schwerte zu lösen und, wie einst Friedrich, in stolzer Freiheit,
mitten hindurch zwischen Feinden und halben Freunden, die Schicksals-
frage zu stellen: Preußen oder Oesterreich?
Aber weder der König noch sein Minister Hertzberg erkannte ganz,
was der große Augenblick für Deutschlands Zukunft bedeutete. Dieser
doctrinäre Gelehrte, ein stolzer Preuße voll glühender Vaterlandsliebe,
ganz erfüllt von der Ueberzeugung, daß der unversöhnliche Gegensatz der
beiden deutschen Großmächte in einer geographischen Nothwendigkeit be-
gründet sei, war dem alten Könige ein brauchbarer Helfer gewesen, gleich
thätig als Publicist wie als Depeschenschreiber bei allen diplomatischen
Verhandlungen vom Beginne des siebenjährigen Krieges bis herab zur
Stiftung des Fürstenbundes; die fridericianische Politik in ihrer einfachen
Großheit selbständig weiter zu führen vermochte er nicht. Obwohl König
Friedrich ihn nur als Werkzeug benutzt und auf seinen Rath selten gehört
hatte, so fühlte er sich doch selbstgefällig als den rechten Erben des großen
Königs und „des alten kraftvollen brandenburgischen Systems", als den
gewiegtesten Kenner aller Machtverhältnisse des Welttheils; so lange er
das Ruder führte, sollte kein Fehler möglich sein und Preußen immerdar
die erste Rolle in Europa spielen. Statt der einfachen Pläne, welche der
alte Held mit rücksichtsloser Offenheit verfolgte, liebte sein Schüler ge-
suchte, künstliche Combinationen zur Wahrung des europäischen Gleich-
gewichts auszuklügeln; ein Bund der drei Nordmächte Preußen, England,
Rußland erschien ihm als der Stein der Weisen, obschon dafür alle Vor-
bedingungen fehlten. Während Friedrich allezeit der nüchternen Meinung
blieb, daß Preußen auf der weiten Welt nur offene und versteckte Feinde
habe, baute Hertzberg mit unbeirrtem Dünkel auf die siegreiche Macht
seiner Beweisgründe. Jetzt wähnte er den unfehlbaren Weg zur Bei-