148 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Staate den Untergang bereitete; aber er hat auch, als er nach zehn Jahren
des Zauderns und nach grausamen Schicksalsschlägen endlich wagte ganz
er selber zu sein, aus freiem Entschlusse den Neubau des Staates in
Angriff genommen, die Reformgedanken seiner Räthe genau so weit durch-
geführt, wie es ihm richtig schien, und den lange vorbereiteten Befreiungs-
krieg nicht eher gestattet, als bis er selber einsah, der rechte Augenblick
sei gekommen. Er hat in der zweiten Hälfte seiner Regierung den An-
schluß der preußischen Politik an Oesterreich, die Sünden der Demagogen-
jagd und das Ausbleiben der verheißenen Verfassung verschuldet, aber
auch die Neugründung des preußischen Einheitsstaates mit zäher Geduld
geleitet und mit richtigem Blicke die gute Stunde erkannt, da die orien-
talischen Wirren und die Kämpfe der deutschen Handelspolitik dem Staate
erlaubten wieder selbständig seines Weges zu gehen. Ohne ihn und das
allgemeine Zutrauen zu seiner Rechtschaffenheit war die Versöhnung der
zahllosen landschaftlichen Gegensätze in dem neuen Preußen ebenso un-
möglich wie die friedliche Entstehung jenes Zollvereins, der das nicht-
österreichische Deutschland unauflöslich mit dem preußischen Staate ver-
kettete und die Grenzpfähle aufrichtete für das neue deutsche Reich.
Dieser König konnte nicht, wie der erste Friedrich Wilhelm und sein
Sohn, den Stempel seines eigenen Wesens dem Staate aufprägen, son-
dern mußte die schöpferischen Gedanken von anderen, reicheren Geistern
entlehnen. Und doch ist er der Herr geblieben; der monarchische Charakter
des preußischen Staates hat sich, im Guten wie im Bösen, auch unter
seiner Regierung nie verleugnet. In Noth und Schande, unter De-
müthigungen, die einen freieren und kühneren Geist zur Verzweiflung
bringen konnten, hat er unentwegt ausgehalten bei seiner Pflicht. So ist
sein Name unzertrennlich verbunden mit den dunkelsten und den reinsten
Erinnerungen unserer neuen Geschichte. Seine Pflichttreue und ein natür-
liches Gefühl für die Ehre des Königthums gaben ihm die Kraft, allmäh-
lich hineinzuwachsen in das Verständniß seiner Stellung. Nach und nach
lernte er selbst solche Gebiete des nationalen Lebens schätzen, die seinem
nüchternen hausbackenen Wesen ursprünglich fremd waren. Er lernte sich
zurechtfinden in der auswärtigen Politik; und dieser prosaische Mensch, der
in seinen jungen Jahren an der weinerlichen Plattheit Lafontaine'scher
Romane Gefallen fand, ist schließlich der Mäcenas seines Hauses gewor-
den, ein Beschützer der Künste und Wissenschaften wie kein Anderer unter
den Hohenzollern. Wer ihn in seiner menschlichen Liebenswürdigkeit sehen
wollte, der mußte ihn aufsuchen im einsamen Schlößchen zu Paretz. Dort
unter den alten Bäumen am blauen Havelsee verlebte der junge Fürst
seine glücklichsten Tage an der Seite seiner lieblichen Gemahlin Luise, in
dem munteren Kreise der schönen kleinen Flachsköpfe, die ihm heran-
wuchsen; dort thaute er auf und brachte durch drollige Einfälle selbst die
gestrenge Wächterin der Etikette, die Gräfin Voß zu respectwidrigem Lachen.