Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Preußen und die Mittelstaaten. 181 
fertigte der König, dem Czaren gegenüber, Preußens eigene Entschädi— 
gungsforderungen: er müsse sich stärken für den Fall, daß einst ein großer 
deutscher Krieg wider Bonaparte unvermeidlich würde. 
Im Hintergrunde aller dieser Pläne und Wünsche stand die schüch- 
terne, unbestimmte Hoffnung, es werde gelingen, das verweltlichte Reich 
oder mindestens den Norden in bündischen Formen neu zu ordnen. Die 
Erkenntniß der Unhaltbarkeit des alten Kaiserthums brach sich allmählich 
in immer weiteren Kreisen Bahn. Schon ein Jahr nach Friedrich's Tode 
hatte eine Flugschrift kurzab die Frage aufgeworfen: „warum soll Deutsch- 
land einen Kaiser haben?“ Während des Krieges der zweiten Coalition 
sodann erschienen die „Winke über Deutschlands Staatsverfassung“ und 
mahnten: „o ihr Deutschen, schließet einen festen deutschen Bund!“ Aehn- 
liche föderalistische Gedanken wurden auch unter den preußischen Staats- 
männern besprochen. Der unermüdliche Dohm führte im Jahre 1800, 
nach einer Unterredung mit dem Herzoge von Braunschweig, seine schon 
in Rastatt geäußerten Vorschläge weiter aus und entwarf den Plan für 
einen norddeutschen Bund. Es gelte, der Uebermacht Frankreichs, die alle 
Nachbarn zugleich bedrohe, einen Damm entgegenzustellen; darum müsse 
der Baseler Neutralitätsbund zu einer thatkräftigen, dauernden Föderation 
umgestaltet werden; vier Sectionen unter der Leitung der mächtigeren 
Mittelstaaten und der Oberleitung Preußens; ein Bundestag und stehende 
Bundesgerichte; das Heer von Preußen befehligt und nach preußischem 
Reglement geschult. Mit solchen Entwürfen unterhielt man sich wohl am 
Berliner Hofe, sie durchzuführen wagte man nicht. Und auch Dohm 
selber kam nicht los von jenem verhängnißvollen Irrthum, der alle Be- 
rechnungen der preußischen Politik zu Schanden machte; auch er wähnte, 
die Neubefestigung der deutschen Macht lasse sich durch friedliche Mittel 
erreichen, der erste Consul werde nicht widersprechen wenn man ihm nur 
die Idee der „nationalen Unabhängigkeit"“ nachdrücklich vorhaltel 
Die Berliner Staatsklugheit bemerkte nicht, wie von Grund aus die 
Machtverhältnisse im Reiche seit Friedrich's Tagen sich verschoben hatten. 
Nicht Preußen, sondern Frankreich hielt jetzt die Wage des deutschen Gleich- 
gewichts in seinen Händen. Frankreich vertheilte nach Gunst und Laune 
die Trümmer der geistlichen Staaten. Die Mitwirkung Rußlands bei den 
Verhandlungen konnte, wie die Dinge standen, nur eine scheinbare sein; 
sie bewirkte lediglich, daß einige mit dem Petersburger Hofe verwandte 
Fürstenhäuser bei der Ländervertheilung bevorzugt wurden. Wenn der 
preußische Staat unter solchen Umständen die Bildung der neuen Mittel- 
staaten beförderte, so stärkte er nur die französische Partei im Reiche 
ohne sich selber einen treuen Anhang zu gewinnen; er wurde Bonaparte's 
Mitschuldiger ohne sich die Bundesgenossenschaft des Uebermächtigen auf 
die Dauer zu sichern. 
Wie viel geschickter als diese wohlmeinende Politik der Halbheit und
	        
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