Preußen und die Mittelstaaten. 181
fertigte der König, dem Czaren gegenüber, Preußens eigene Entschädi—
gungsforderungen: er müsse sich stärken für den Fall, daß einst ein großer
deutscher Krieg wider Bonaparte unvermeidlich würde.
Im Hintergrunde aller dieser Pläne und Wünsche stand die schüch-
terne, unbestimmte Hoffnung, es werde gelingen, das verweltlichte Reich
oder mindestens den Norden in bündischen Formen neu zu ordnen. Die
Erkenntniß der Unhaltbarkeit des alten Kaiserthums brach sich allmählich
in immer weiteren Kreisen Bahn. Schon ein Jahr nach Friedrich's Tode
hatte eine Flugschrift kurzab die Frage aufgeworfen: „warum soll Deutsch-
land einen Kaiser haben?“ Während des Krieges der zweiten Coalition
sodann erschienen die „Winke über Deutschlands Staatsverfassung“ und
mahnten: „o ihr Deutschen, schließet einen festen deutschen Bund!“ Aehn-
liche föderalistische Gedanken wurden auch unter den preußischen Staats-
männern besprochen. Der unermüdliche Dohm führte im Jahre 1800,
nach einer Unterredung mit dem Herzoge von Braunschweig, seine schon
in Rastatt geäußerten Vorschläge weiter aus und entwarf den Plan für
einen norddeutschen Bund. Es gelte, der Uebermacht Frankreichs, die alle
Nachbarn zugleich bedrohe, einen Damm entgegenzustellen; darum müsse
der Baseler Neutralitätsbund zu einer thatkräftigen, dauernden Föderation
umgestaltet werden; vier Sectionen unter der Leitung der mächtigeren
Mittelstaaten und der Oberleitung Preußens; ein Bundestag und stehende
Bundesgerichte; das Heer von Preußen befehligt und nach preußischem
Reglement geschult. Mit solchen Entwürfen unterhielt man sich wohl am
Berliner Hofe, sie durchzuführen wagte man nicht. Und auch Dohm
selber kam nicht los von jenem verhängnißvollen Irrthum, der alle Be-
rechnungen der preußischen Politik zu Schanden machte; auch er wähnte,
die Neubefestigung der deutschen Macht lasse sich durch friedliche Mittel
erreichen, der erste Consul werde nicht widersprechen wenn man ihm nur
die Idee der „nationalen Unabhängigkeit"“ nachdrücklich vorhaltel
Die Berliner Staatsklugheit bemerkte nicht, wie von Grund aus die
Machtverhältnisse im Reiche seit Friedrich's Tagen sich verschoben hatten.
Nicht Preußen, sondern Frankreich hielt jetzt die Wage des deutschen Gleich-
gewichts in seinen Händen. Frankreich vertheilte nach Gunst und Laune
die Trümmer der geistlichen Staaten. Die Mitwirkung Rußlands bei den
Verhandlungen konnte, wie die Dinge standen, nur eine scheinbare sein;
sie bewirkte lediglich, daß einige mit dem Petersburger Hofe verwandte
Fürstenhäuser bei der Ländervertheilung bevorzugt wurden. Wenn der
preußische Staat unter solchen Umständen die Bildung der neuen Mittel-
staaten beförderte, so stärkte er nur die französische Partei im Reiche
ohne sich selber einen treuen Anhang zu gewinnen; er wurde Bonaparte's
Mitschuldiger ohne sich die Bundesgenossenschaft des Uebermächtigen auf
die Dauer zu sichern.
Wie viel geschickter als diese wohlmeinende Politik der Halbheit und