184 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Inzwischen weidete sich der Spott der Pariser an dem Anblicke der
Fürsten und Staatsmänner des heiligen Reichs, die in Schaaren zu dem
Herrschersitze des ersten Consuls eilten. Die leichtlebige Stadt hatte nach
den Schreckensjahren der Revolution ihre alte keltische Munterkeit rasch
wiedergefunden; Bonaparte kannte ihre unersättliche Lust an nervöser
Aufregung und verstand, ihr durch die glänzenden Spektakelstücke seiner
Triumph= und Beutezüge zu genügen. Unterhaltsamer als alle diese Feste
war doch das unerhörte Schauspiel der freiwilligen Selbstentwürdigung
des deutschen hohen Adels. Wie oft, alle diese schweren Jahre hindurch,
war die bange Ahnung, daß es zu Ende gehe mit der alten Herrlichkeit,
den armen Seelen der deutschen Kleinfürsten nahe getreten; sie waren
geflohen und nochmals geflohen vor den Heeren der Revolution und hatten
zu Gelde gemacht was sich irgend zusammenraffen ließ von den Gütern
ihres Staates. Nun schlug die Stunde der Entscheidung; es schien noch
möglich dem theuren Hause den angestammten Thron zu retten. In der
Raserei der Angst ging aller Stolz und alle Scham verloren. Jene
edlere Auffassung der Fürstenpflichten, die in Friedrich's Tagen an den
deutschen Höfen Fuß gefaßt hatte, wurde durch Bonaparte's Gewaltherr=
schaft zerstört; die Gesinnungen der fürstlichen Soldatenverkäufer der guten
alten Zeit gewannen wieder die Oberhand. Aus den Erfahrungen dieser
Tage der Fürstenflucht und der Fürstensünden schöpfte der deutsche Dichter
den ernsten Spruch: „Man steigt vom Throne nieder wie in's Grab."“
Wie das Geschmeiß hungriger Fliegen stürzte sich Deutschlands hoher
Adel auf die blutigen Wunden seines Vaterlandes. Talleyrand aber er-
öffnete mit cynischem Behagen das große Börsenspiel um Deutschlands
Land und Leute und sagte gleichmüthig, wenn ein deutscher Edelmann
noch eine Regung der Scham empfand: il faut étouffer les regrets.
Die hochgeborenen Bekämpfer der Revolution bettelten um seine Gnade,
machten seiner Maitresse den Hof, trugen seinen Schooßhund zärtlich auf
den Händen, stiegen dienstfertig zu dem kleinen Dachstübchen hinauf, wo
sein Gehilfe Matthien hauste — der Schlaueste aus jener langen Reihe
begabter Elsasser, deren Arbeitskraft und Sachkenntniß Bonaparte gern
bei seinen deutschen Geschäften benutzte. Das Gold der kleinen Höfe, das
sie niemals finden konnten wenn das Reich sie zur Vertheidigung des
Vaterlandes aufrief, floß jetzt in Strömen; Jedermann in der diploma-
tischen Welt kannte den Tarif der französischen Unterhändler und wußte,
wie hoch der Curswerth einer Stimme im Fürstenrathe des Reichstags sich
stellte. Ein Fürst von Löwenstein, ein Nachkomme des siegreichen Friedrich
von der Pfalz, spielte den Makler bei dem schmutzigen Handel. Auch die
Pariser Gaunerschaft nahm die gute Gelegenheit wahr; mancher der gie-
rigen deutschen Fürsten lief in seiner kleinstädtischen Plumpheit einem
falschen Agenten Talleyrand's ins Garn, bis Bonaparte selber gegen den
Unfug einschritt.