218 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Während die deutschen Mächte die neue Kaiserkrone anerkannten,
herrschte am Petersburger Hofe eine erregte kriegerische Stimmung. Der
junge Czar hatte seit der Ermordung des Herzogs von Enghien gänzlich mit
Frankreich gebrochen; er ersah dann aus Napoleon's herausfordernden Er—
widerungen, daß dieser einen neuen Festlandskrieg wünschte, begann Ver—
handlungen in Wien und London und erging sich bereits in dem schwär—
merischen Traume einer großen Völkerbefreiung, den er acht Jahre später
wieder aufnahm. Er wollte sich schlagen für die Freiheit Europas, nicht
Frankreich bekämpfen, sondern die Person des Usurpators, die wiederherge—
stellten alten Staaten durch freisinnige Verfassungen beglücken, das befriedete
Europa zu einem dauernden heiligen Völkerbunde vereinen. Nach langem
Zaudern kam Oesterreich dem Drängen Alexander's um einen Schritt ent—
gegen und schloß im November 1804 ein Vertheidigungsbündniß mit Ruß—
land für den Fall, daß Napoleon in Italien weiter um sich griffe.
Wenn die preußische Politik die Zeichen der Zeit verstand, so mußte
sie den kriegerischen Eifer Alexander's zugleich zu benutzen und zu zügeln
suchen. Nicht ein unzeitiger Krieg konnte die Freiheit des Welttheils
retten, sondern allein eine wohlvorbereitete, im rechten Augenblicke gleich-
zeitig gewagte Schilderhebung der drei Ostmächte. Napoleon's Gedanken
verweilten noch immer bei seiner armée navale und dem Plane der
Landung in England. Er brannte vor Begier „sechs Jahrhunderte der
Schmach und der Beleidigung zu rächen: ist dies größte aller Ziele
erreicht, so fällt alles Uebrige von selbst!“ Mit Absicht reiste er im
Sommer 1805 lange in Italien, um die Augen der Welt von den Küsten
des Canals hinwegzulenken und dann urplötzlich in Boulogne zu erscheinen,
„das große Ereigniß, dem ganz Europa entgegenzittert,“ zu vollenden.
Aber nach seiner Weise hielt er sich wieder zwei Thüren offen. Das Heer
von Boulogne konnte auch zu einem plötzlichen Angriff auf Oesterreich
verwendet werden; und je deutlicher sich die ungeheuren Schwierigkeiten
der Landung in England allmählich herausstellten, um so lebhafter be-
schäftigte sich Napoleon mit dem Plane eines neuen Festlandskrieges.
Die Klugheit gebot zunächst den wahrscheinlichen Mißerfolg der eng-
lischen Landung abzuwarten, dem lauernden Gegner keinen Vorwand zum
Angriff zu bieten und unterdessen in der Stille durch sorgfältige Rüstung
einen neuen Coalitionskrieg vorzubereiten; waren doch Oesterreichs Heer
und Haushalt in so kläglichem Zustande, daß der bedeutendste Mann der
kaiserlichen Armee, Erzherzog Karl dringend zum Frieden mahnte. Eine
Versöhnung zwischen den Höfen von Berlin und Wien schien jetzt nicht
mehr unmöglich. Erzherzog Johann und der patriotische Kreis, der sich
um ihn schaarte, vertraten längst die Ansicht, daß man ohne Preußen nichts
ausrichten könne; auch Gentz, der sich in seinem Hasse gegen die Revolution
mehr und mehr verbitterte und bereits alle Sünden der neuen Geschichte
auf den Protestantismus zurückführte, blieb doch Staatsmann genug um