20 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
unserer Geschichte war der Adel mächtiger, niemals schädlicher für das Leben
der Nation. Der Fürstenstand vergaß seine alte landesväterliche Sorgsam-
keit, seit das gleißende Vorbild des bourbonischen Königthums den kleinen
Herren den Sinn bethörte. Die größeren Höfe mißbrauchen das neu erwor-
bene Recht der Bündnisse, drängen sich vorlaut, vielgeschäftig ein in die
Händel der europäischen Mächte, bilden glänzende Armeen mit Marschällen
und Generalen, und glücklich wer einen Admiral zu halten vermag wie der
pfälzische Kurfürst auf seinen Rhein-Zollschiffen. Alle, die großen wie die
kleinen, wetteifern in prahlerischer Pracht mit dem großen Ludwig; das
ärmste Land Westeuropas überstrahlt bald alle Nachbarn durch die Unzahl
seiner prunkenden Fürstenschlösser. Kein Reichsgraf, der sich nicht sein Ver-
sailles, sein Trianon erbaute; im Schloßgarten von Weikersheim bewachen
die Standbilder der Welteroberer Ninus, Cyrus, Alexander und Caesar
den Eingang zu dem Herrschersitze des Hohenlohischen Reiches. Der deutsche
Kleinfürst fand weder in dem Pflichtgefühle der Monarchie noch in der
Standesgesinnung eines politischen Adels einen sittlichen Halt; Mancher
empfand voll Unmuth den Fluch eines zwecklos leeren Daseins, Mancher
vertobte seine Kraft in frecher Unzucht und grausamen Sultanslaunen.
Für ein Zusammenwirken des Adels mit dem Bürgerthum, für
ein englisches Unterhaus bot der alte deutsche Staat keinen Raum. Der
Städtebund der Hansa war zerfallen seit die geeinte nationale Macht der
Völker des Westens die beiden Indien erobert hatte; jene glorreiche Flagge,
die im Mittelalter auf allen nordischen Meeren herrschte, ließ sich kaum
mehr blicken in dem neuen transatlantischen Verkehre. Die Nation ward
dem Meere so fremd, wie ihr Kaiserhaus. Unter allen Schriftstellern un-
seres achtzehnten Jahrhunderts ist nur Einer, der Seeluft geathmet hat
und die befreiende Macht des völkerverbindenden Handels zu schätzen weiß:
Justus Möser. Wie ein Hohn klang in der stockigen Luft dieses binnen-
ländischen Stilllebens der frohe Schifferspruch, der noch am Hause Seefahrt
in Bremen zu lesen stand: navigare necesse est, vivere non necesse.
Englische und holländische Schiffe führten die Waaren der Colonien zur
Elbe und den Rhein hinauf: fast allein mit seiner Leinwand und seinen
Metallwaaren beschickte der deutsche Gewerbefleiß noch den Weltmarkt.
Keine der altberühmten Städte des Reichs vermochte ihre historische
Größe zu behaupten; die Trave verödete, der oberländische Handel verfiel,
die Lübecker Baugeschichte endete mit der Gothik, die Augsburger mit dem
Zeitalter der Renaissancc. Nur an einigen jüngeren Handelsplätzen, in
Hamburg und Leipzig sammelte sich wieder langsam ein neuer Verkehr. Die
alten Reichsstädte verschlossen sich still hinter ihren Wällen, ängstlich das
Stadtrecht und den Zunftbrauch hütend, kleinlaut auf den Reichstagen,
voll Mißtrauens gegen die ausgreifende Gewalt der fürstlichen Nachbarn
ringsum; aus langen Jahrzehnten meldet kaum eine dürftige Kunde, daß
diese stolzen Communen noch lebten. Und da auch in dem bedienten-