Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

290 I. 3. Preußens Erhebung. 
Leben zu Gebote. Er hatte in allen Waffengattungen, im Generalstabe 
und in den Militärbildungsanstalten gedient. Er lernte, als er auf der 
Kriegsschule des Wilhelmsteins seinen ersten militärischen Unterricht em- 
pfing, jene berühmte kleine Mustertruppe kennen, welche sich der geistvolle 
alte Kriegsheld Graf Wilhelm von Bückeburg aus der gesammten waffen- 
fähigen Jugend seines Ländchens gebildet hatte; dann wurde er als han- 
noverscher Offizier auf dem niederländischen Kriegsschauplatze genau ver- 
traut mit der englischen Armee, die unter allen europäischen Heeren noch 
am treuesten den Charakter des alten Söldnerwesens bewahrte; er zog zu 
Felde gegen die lockeren Milizen der Republik wie gegen das wohlgeschulte 
Conscriptionsheer Napoleon's und stand im Kriege von 1806 der Heeres- 
führung nahe genug um die Gebrechen der fridericianischen Armee, die 
letzten Gründe ihres Unterganges ganz zu durchschauen. Jene stramme 
soldatische Haltung, wie sie der König von seinen Offizieren verlangte, 
war dem einfachen Niedersachsen fremd. In unscheinbarer, fast nach- 
lässiger Kleidung ging er daher, den Kopf gesenkt, die tiefen sinnenden 
Denkeraugen ganz in sich hineingekehrt. Das Haar fiel ungeordnet über 
die Stirn herab, die Sprache klang leise und langsam. In Hannover sah 
man ihn oft, wie er an dem Bäckerladen beim Thore selber anklopfte und 
dann mit Weib und Kindern draußen unter den Bäumen der Eilenriede 
zufrieden sein Vesperbrot verzehrte. So blieb er sein Leben lang, schlicht und 
schmucklos in Allem. Die Einfalt des Ausdrucks und der Empfindung 
in seinen vertraulichen Briefen erinnert an die Menschen des Alterthums; 
auch in seinen Schriften ist ihm die Sache Alles, die Form nichts. Doch 
die Ueberlegenheit eines mächtigen, beständig productiven und durchaus 
selbständigen Geistes, der Adel einer sittlichen Gesinnung, die gar nicht 
wußte was Selbstsucht ist, verbreiteten um den schlichten Mann einen 
Zauber natürlicher Hoheit, der die Gemeinen abstieß, hochherzige Menschen 
langsam und sicher anzog. Seine Tochter, Gräfin Julie Dohna, dankte 
dem frühverwittweten Vater Alles, man nannte sie eine königliche Frau 
und nahm sie in der vornehmen Gesellschaft auf als müßte es so sein. 
Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als 
Stein's aufregendes und aufgeregtes Wesen; Keiner unter seinen Räther 
stand ihm so nahe. Scharnhorst erwiderte das Vertrauen seines königlichen 
Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch ver- 
gangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenstärke des unglücklichen 
Monarchen und hat in seiner Treue nie geschwankt, auch dann nicht, als 
manche seiner Freunde in ihrer patriotischen Ungeduld an dem bedachtsamen 
Fürsten irr wurden. Ein echter Niederdeutscher, war er schamhaften Ge- 
müthes, still und verschlossen von Natur; das Lob klang ihm fast wie 
eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung der Freundschaft. 
Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer zwischen Feinden 
hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Mißgunst des Adels, in
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.