Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Scharnhorst's Freunde. 291 
Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten Generale zu kämpfen. Als 
ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die allgemeine Stimme der Armee 
an die Spitze des Heerwesens stellten, da mußte er fünf Jahre lang das 
finstere Handwerk des Verschwörers treiben, unter den Augen des Feindes 
für die Befreiung rüsten. So lernte er jedes Wort und jede Miene zu be— 
herrschen, und der einfache Mann, der für sich selber jeden Winkelzug ver— 
schmähte, wurde um seines Landes willen ein Meister in den Künsten der 
Verstellung, ein unergründlicher Schweiger, listig und menschenkundig. Mit 
einem raschen forschenden Blicke las er dem Eintretenden sofort die Hinter— 
gedanken von den Augen ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu ver— 
stecken, dann wußte er mit halben Worten Freund und Feind auf die falsche 
Fährte zu locken. Die Offiziere sagten wohl, seine Seele sei so faltenreich 
wie sein Gesicht; er gemahnte sie an jenen Wilhelm von Oranien, der einst 
in ähnlicher Lage, still und verschlagen, den Kampf gegen das spanische 
Weltreich vorbereitet hatte. Und wie der Oranier, so barg auch Scharnhorst 
in verschlossener Brust die hohe Leidenschaft, die Kampflust des Helden; sie 
hatte ihm während des jüngsten Krieges die Freundschaft des thatenfrohen 
Blücher erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wissen, wie 
sinnbethörend die Angst nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs- 
gerichten war sein Urtheilsspruch immer der strengste, schonungslos hart gegen 
Zagheit und Untreue. Räthselhaft und doch harmonisch verbanden sich in 
dieser großen Seele kleinbürgerliche Schlichtheit und weltumspannender 
Weitblick, Friedenssehnsucht und Kriegsmuth, menschenfreundliche Herzens- 
weichheit und die dämonische Kraft des Nationalhasses. Niemand viel- 
leicht hat die Bitterniß jener Zeit in so verzehrenden Qualen empfunden 
wie dieser Schweigsame; Tag und Nacht folterte ihn der Gedanke an die 
Schande seines Landes. Alle nahten ihm mit Ehrfurcht, denn sie fühlten 
unwillkürlich, daß er die Zukunft des Heeres in seinem Haupte trage. 
Unter den Männern, die ihm bei der Reorganisation des Heeres 
zur Hand gingen, sind vier gleichsam die Erben seines Geistes geworden, 
so daß Jeder einen Theil von der umfassenden Begabung des Meisters 
überkam: die Feldherrennaturen Gneisenau und Grolman, der Organi- 
sator Boyen, der Gelehrte Clausewitz — alle Vier, wie Scharnhorst selber, 
arm, genügsam, bedürfnißlos, ohne jede Selbstsucht allein der Sache 
dienend und bei allem Freimuth tief innerlich bescheiden, wie es dem be- 
gabten Soldaten natürlich ist; denn das einsame Schaffen des Künstlers 
und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als 
ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag, wenn 
ihn das unerforschliche Schicksal nicht zur rechten Zeit an die rechte Stelle 
führt. Allzu bescheiden nannte sich Gneisenau selber nur einen Pygmäen 
neben dem Riesen Scharnhorst. Ihm fehlte die schwere Gelehrsamkeit des 
Meisters und er empfand, gleich so vielen Männern der That, die Lücken 
seines Wissens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür besaß er in weit 
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