Reorganisation der Armee. 293
Mit solchen Kräften schritt der König an das Werk der Wiederher—
stellung. Die ganze Armee wurde neu formirt. Sechs Brigaden, zwei
schlesische, zwei altpreußische, je eine aus Pommern und den Marken, das
war Alles was von dem fridericianischen Heere noch übrig blieb, das war
der letzte Anker für Deutschlands Hoffnungen. Der Zopf fiel hinweg, die
Truppen erhielten zweckmäßigere Waffen und Kleider, die Künste des Parade-
platzes traten zurück hinter der angestrengten Arbeit des Felddienstes. Alle
Vorräthe mußten von Neuem angeschafft werden; Napoleon's Marschälle
hatten die Ausplünderung mit solcher Gründlichkeit besorgt, daß die schlesische
Artillerie einmal monatelang, aus Mangel an Pulver, ihre Schießübungen
einstellen mußte. Eine Untersuchungskommission prüfte das Verhalten
jedes einzelnen Offiziers im Kriege, entfernte unerbittlich die Schul-
digen und Verdächtigen. Gneisenau forderte in der Zeitschrift „der Volks-
freund“, die der wackere Bärsch herausgab, die Freiheit des Rückens für die
Armee, fragte bitter, ob der preußische Soldat den Antrieb zum Wohlver-
halten auch fernerhin im Holze suchen solle, statt im Ehrgefühle. Seine
Meinung drang durch; die neuen Kriegsartikel beseitigten die alten grau-
samen Körperstrafen. Wie hatte sich doch die Welt verwandelt, daß jetzt preu-
Pische Offiziere in der Presse die Mängel des Heerwesens besprechen durften!
In einem anderen Zeitungsaufsatze schilderte Gneisenau sarkastisch,
wie bequem es doch für die adlichen Eltern sei, daß ihre Söhne schon
im Kindesalter als Junker die Soldaten des Königs befehligen dürften.
Er sprach damit nur aus was alle verständigen Offiziere dachten. Die
Beseitigung der Junkerstellen sowie aller andern Vorrechte des Adels im
Heere ergab sich von selbst aus dem Geiste der neuen Gesetzgebung, und
da man die Tüchtigkeit der jugendlichen Heerführer Napoleon's kennen ge-
lernt, so verlangte mancher Heißsporn die Nachahmung des vielgerühmten
freien Avancements der Franzosen. Scharnhorst aber ging seines eigenen
Wegs; er durchschaute, welche sittlichen Schäden der napoleonische Grund-
satz „iunge Generale, alte Hauptleute“ hervorgerufen, wie viel rohe, un-
saubere Elemente sich in die unteren Schichten des französischen Offiziers-
corps eingedrängt, und wie bedenklich dort ein zügelloser Ehrgeiz die
Bande der treuen Kameradschaft gelockert hatte. Der deutsche Bauern-
sohn wußte wohl, warum Washington den Amerikanern zugerufen: nehmt
nur Gentlemen zu Offizieren — warum König Friedrich Wilhelm I. seinen
Offizieren erlaubt hatte dann nicht zu gehorchen, wenn ihnen etwas gegen
die Ehre angesonnen würde. Er wollte den alten aristokratischen Charakter
des preußischen Offizierscorps nicht zerstören, sondern nur die Aristokratie
der Bildung an die Stelle des adlichen Vorrechts setzen.
Das Reglement vom 6. August 1808 über die Besetzung der Stellen
der Portepeefähnriche stellte den Grundsatz auf: im Frieden gewähren nur
Kenntnisse und Bildung, im Kriege nur ausgezeichnete Tapferkeit und Um-
sicht einen Anspruch auf die Offiziersstellen; keine Junker mehr, dafür Por-