Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

326 I. 3. Preußens Erhebung. 
das Pflichtgefühl des echten Königthums hat sich selten so schön bewährt, 
wie damals, da Friedrich Wilhelm schweigend ertrug, daß ihn die Besten 
seines Volkes grausam verkannten. Der Bescheidene empfand nur zu 
lebhaft, wie wenig er sich mit dem Genie Stein's oder Scharnhorst's ver- 
gleichen konnte; dennoch beurtheilte er die europäische Lage klarer, rich- 
tiger als sie Alle — weil er der König war, weil er sich eins fühlte mit 
dem Staat, weil das Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit vor Gott und 
Menschen ihm auf der Haut brannte. Die Stimmungen der Kriegspartei 
hat Heinrich Kleist mit der naiven Wahrhaftigkeit des Dichters ausge- 
sprochen in den Versen: 
Nicht der Sieg ist's, den der Deutsche fodert, 
Hilflos wie er schon am Abgrund steht. 
Wenn der Krieg nur fackelgleich entlodert, 
Werth der Leiche, die zu Grabe geht! 
Unwillkürlich wendet sich die Liebe der Nachwelt jenen Hochherzigen 
zu, die also dachten, die mit kaum fünf Millionen Menschen den Kampf 
gegen das neue Karolingerreich wagen und, mußte es sein, sich unter 
den Trümmern des Staates begraben wollten. Gleichwohl war was sie 
riethen eine Politik der Verzweiflung. Wenn der König den leidenschaft- 
lich Erregten immer wiederholte, er werde das Schicksal der spanischen 
Bourbonen nicht über sich ergehen lassen, eine kleine politische Existenz 
sei immer noch besser als gar keine, so wollte er damit keineswegs sagen, 
daß er sich von dem Glanze des Thrones nicht zu trennen vermöge. Nach 
seinen anspruchslosen Neigungen war er vielmehr ganz einverstanden mit 
der Meinung seines Ministers: die Ruhe des Privatlebens sei ehrenvoller 
als die Bürde dieser Dornenkrone. Aber er fühlte, daß mit der Ent- 
thronung der Hohenzollern, mit der Vernichtung des preußischen Staats 
die letzte Hoffnung der Deutschen dahin schwand, daß eine vorzeitige 
Schilderhebung der sichere Untergang des Vaterlandes war. Sein Trüb- 
sinn verwand die niederschlagenden Eindrücke des Jahres 1806 so schnell 
nicht. Er unterschätzte zuweilen, wie er späterhin selbst gestand, die Kräfte 
des preußischen Volkes, würdigte nicht genugsam die mächtige Umstimmung 
der Gemüther, meinte bitter, ihm werde die Sonne des Glücks nie wieder 
strahlen. Dafür blieb er aber auch frei von jenen holden Täuschungen, 
denen die feurigen Herzen der Kriegspartei unterlagen. Eine einfache 
Natur, wie alle tüchtigen Männer seines Hauses, wollte er nicht glauben, 
daß die Nation die uralten Gewöhnungen monarchischer Ordnung sogleich 
aufgeben würde. Von einem Aufstande in den rheinbündischen Landen 
hoffte er nichts; nur ein geordneter Krieg, von obenher geleitet, schien 
ihm die Rettung zu verheißen, und dies königliche Ich will! dachte er erst 
dann auszusprechen, wenn er mindestens die Möglichkeit eines Sieges 
erkannte und im Rücken durch Rußland gedeckt war. Der letzte Ausgang 
hat die verständigen Erwägungen des Königs gerechtfertigt. Der heißen
	        
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