Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Anfänge Brandenburgs. 25 
der Staatenbildung von Altersher überlegen. Nur so lange der Sachsen— 
stamm die Krone trug blieb die deutsche Monarchie ein lebendiges König— 
thum; ihre Macht zerfiel unter den Händen der Franken und der 
Schwaben, zumeist durch den trotzigen Ungehorsam der sächsischen Fürsten. 
Dann erwuchsen in Niederdeutschland die zwei mächtigsten politischen 
Schöpfungen unseres späteren Mittelalters, die Hansa und der deutsche 
Orden, beide unabhängig von der Reichsgewalt, oftmals mit ihr verfeindet. 
Im Norden stand die Wiege der Reformation; an dem Widerstande der 
Norddeutschen scheiterte die hispanische Herrschaft, und seit die undeutsche 
Politik der Habsburger den Dualismus im Reiche hervorgerufen, blieb 
der Norden das Kernland der deutschen Opposition. Die Führung dieser 
Opposition ging im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts von dem un— 
fähigen Geschlechte der Wettiner auf die Hohenzollern über. Der Schwer— 
punkt deutscher Politik verschob sich nach dem Nordosten. 
Dort in den Marken jenseits der Elbe war aus dem Grundstock der 
niedersächsischen Eroberer, aus Einwanderern von allen Landen deutscher 
Zunge und aus geringen Trümmern des alteingesessenen Wendenvolkes 
ein neuer norddeutscher Stamm emporgewachsen, hart und wetterfest, ge— 
stählt durch schwere Arbeit auf kargem Erdreich wie durch die unablässigen 
Kämpfe des Grenzerlebens, klug und selbständig nach Colonistenart, ge— 
wohnt mit Herrenstolz auf die slavischen Nachbarn herabzusehen, so schroff 
und schneidig, wie es die gutmüthig gespaßige Derbheit des niederdeutschen 
Charakters vermag. Dreimal hatte dies vielgeprüfte Land das rauhe 
Tagewerk der Culturarbeit von vorn begonnen: zuerst als die ascanischen 
Eroberer die Tannenwälder an den Havelseen rodeten und ihre Städte, 
Burgen und Klöster im Wendenlande erbauten; dann abermals zu Be— 
ginn des fünfzehnten Jahrhunderts, als die ersten Hohenzollern den 
unter bairisch-lützelburgischer Herrschaft völlig zerrütteten Frieden und 
Wohlstand sorgsam wieder herstellten; und jetzt wieder war Brandenburg 
durch die Schrecken der dreißig Jahre schwerer heimgesucht als die meisten 
deutschen Lande, mußte sich die ersten Anfänge der Gesittung von Neuem 
erobern. 
Die rauhe Sitte des armen Grenzlandes blieb während des Mittel— 
alters im Reiche übel berüchtigt. Der römischen Kirche ist aus dem 
Sande der Marken niemals ein Heiliger erwachsen; selten erklang ein 
Minnelied an dem derben Hofe der ascanischen Markgrafen. Die flei— 
ßigen Cistercienser von Lehnin trachteten allezeit mehr nach dem Ruhme 
tüchtiger Landwirthe als nach den Kränzen der Kunst und Gelehrsamkeit; 
den handfesten Bürgern der märkischen Städte verfloß das Leben in grober, 
hausbackener Arbeit, nur die Prenzlauer durften ihre Marienkirche mit 
den prächtigen Bauten der reichen Ostseestädte vergleichen. Allein durch 
kriegerische Kraft und starken Ehrgeiz ragte der Staat der Brandenburger 
über die Nachbarstämme hervor; schon die Ascanier und die Lützelburger
	        
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