Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Ausgang des Ministeriums Altenstein. 353 
patriotischen Kreisen tief und bitter empfunden, am lebhaftesten im prote— 
stantischen Norden und vor Allem in den abgetretenen preußischen Pro— 
vinzen. Wie ein Mann hielt das treue Volk der Grasschaft Mark zu- 
sammen unter der Herrschaft des Großherzogs von Berg; man that was 
man nicht lassen durfte, unterwürfige Schmeichelei kam den Fremden hier 
nie entgegen. Ueberall in diesen Landschaften fanden sich einzelne treue 
Beamte der alten Zeit, die sich im Grunde des Herzens noch als preu- 
hische Staatsdiener und die neue Ordnung der Dinge nur als eine flüch- 
tige Episode betrachteten: so der treffliche Jurist Sethe in Münster und 
der junge Motz auf dem Eichsfelde. Der alte Präsident Rumann in 
Celle trat sein westphälisches Amt erst an als ihm sein König Georg III. 
die förmliche Erlaubniß gegeben hatte. Nur sehr Wenige von den preußi- 
schen höheren Beamten gingen ohne zwingenden Grund in die Dienste 
rheinbündischer Fürsten, und sie verfielen der allgemeinen Verachtung: 
so der Minister Schulenburg-Kehnert. Auch Dohm, der geistreiche Publicist, 
der so oft für die Krone Preußen Fürstenbundspläne geschmiedet, büßte 
sein altes Ansehen ein, da er jetzt plötzlich den Glauben an seinen Staat 
verlor und bei König Jerome Dienste nahm. Da und dort führte ein 
trotziger Edelmann von altem Schrot und Korn auf seine Weise den 
kleinen Krieg gegen die Fremden. Der Freiherr von Wylich in Cleve 
brachte das Archiv des alten ständischen Landtags auf seinem Schlosse 
unter, trat überall als der einzige rechtmäßige Vertreter des clevischen 
Landes auf, da seine ritterbürtigen Genossen unterdessen hinwegstarben, 
und als die Preußen endlich wieder einzogen, verlangte er getrost, daß sie 
den zweibeinigen Landtag sofort in seine alten Rechte einsetzen müßten. 
Wie lachte der magdeburgische Adel, als der unbändige Heinrich Krosigk 
einmal die Gensdarmen des Königs Jerome in das Spritzenhaus sperren 
ließ und dann befriedigt seine Festungshaft absaß; so lange „die Franzosen- 
zeit“ währte hatte der wilde Junker die geladenen Pistolen immer auf dem 
Tische liegen, und sobald sein alter König rief, eilte er spornstreichs über 
die Elbe zu den geliebten Fahnen. 
In Sachsen und in Süddeutschland klagte man wohl über die tau- 
sendfache Noth der Zeit; doch die vielhundertjährige Entfremdung vom 
öffentlichen Leben und die Verkümmerung der Kleinstaaterei ließen einen 
rechtschaffenen Haß selten aufkfommen. Die Preußen glaubten nicht an 
die Dauer des Weltreichs; in den Kleinstaaten gab man allmählich jede 
Hoffnung auf. Die leidsame deutsche Geduld machte aus der Noth eine 
Tugend, verehrte den Rheinbund als das letzte Band, das die Nation 
noch zusammenhalte. Nicht bloß der Schwächling Dalberg pries begeistert, 
wie durch den rheinischen Bund die Vaterlandsliebe in jeder reinen Seele 
erweckt werde. Auch Hans Gagern hoffte ein neues wesentlich deutsches 
Karolingerreich aus den Staatenbildungen des Imperators hervorgehen 
zu sehen. Der Bremer Smidt, ein durchaus patriotischer und nüchterner 
v. Treitschte, Deutsche Geschichte. 1. 23