Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

356 I. 3. Preußens Erhebung. 
denkraft" dauernden Frieden gegründet in diesem zankenden Volke; drei 
große Segnungen bringt uns der Rheinbund: den Untergang der feudalen 
Monarchie und der religiösen Zwietracht, dazu die Gewißheit, daß im 
Innern Deutschlands nie wieder ein Krieg geführt werden kann, endlich 
die Herstellung der nationalen Unabhängigkeit; „küßt darum die Hand, 
welche Euch lehrt einig zu sein, als Gotteshand!“ Die Völkchen dieser 
Kleinstaaten hatten sich längst gewöhnt jede Laune ihrer angestammten 
Herren sich „unterthänigst unterthänig wohlgefallen zu lassen“, wie die 
herkömmliche Redensart in den Landtagsacten lautete; doch so schamlos, 
wie jetzt den fremden Gewalthabern gegenüber, war auf deutschem Boden 
noch nie geheuchelt und geschmeichelt worden. Mit unwandelbarer Be- 
geisterung feierte der Professor der Beredsamkeit in Göttingen die Ver- 
dienste Napoleon's und Jerome's — derselbe Mann, der früher am Ge- 
burtstage Georg's III. und Friedrich Wilhelm's III. patriotische Prachtreden 
gehalten hatte. Ueberall wo der Imperator erschien mußten die Gemeinden 
und Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündische 
Beamtenthum verstand vortrefflich „den freien Ausdruck der Freude und 
öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern". Byzantinische Adressen priesen Na- 
poleon's Unbesiegbarkeit, seine weise Gerechtigkeit und vornehmlich seine 
menschenfreundliche Friedensliebe. „Jedesmal,“ sagten ihm die Stände des 
Großherzogthums Berg, „jedesmal wenn Sie gezwungen waren die Waffen zu 
ergreifen, schienen Sie grundsätzlich dem Kriege selbst den Krieg zu erklären!“ 
Wirkliche Gesinnung war im Rheinbunde wie im keaiserlichen Frank- 
reich fast allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit 
jenen philisterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die sich 
aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern 
ihres heimischen Hofes zurücksehnten. Ein neues Geschlecht wuchs heran, 
voll prahlerischen militärischen Selbstgefühls, begeistert für die Glorie der 
kaiserlichen Adler; ein tüchtiger bairischer Offizier mußte zu jedem Früh- 
stück ein Dutzend Oesterreicher verspeisen, denn was hatte Baierns Kriegs- 
geschichte Herrlicheres aufzuweisen als jene glänzenden Gefechte um Re- 
gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandslosen Lands- 
knechtsgeist dieser Tapferen nähren konnte. Sie sollten ihm ihre Seele 
verschreiben; darum verwendete er sie gern zur Besetzung der preußischen 
Festungen und schickte auch gegen die aufständischen Tyroler meistentheils 
rheinbündische Truppen, Baiern und Sachsen, in's Feld. 
Das System der napoleonischen Präfectenverwaltung fand nirgends 
einen dankbareren Boden als in den geschichtslosen neuen Mittelstaaten 
des Südens. Hier nahm das Organisiren und Reorganisiren kein Ende 
— in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen sieben Jahren drei- 
mal völlig umgestaltet — bis es endlich gelang den verworrenen Hau- 
fen buntscheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in 
regelrechte Departements zurechtzuschneiden. Der Protector hütete sich
	        
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