Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Das Gensdarmerie-Edict. 381 
Welch ein Gegensatz doch: die Gesetze Stein's und die Experimente 
Hardenberg's! Stein's Thun und Denken gemahnt immer an den alten 
Wappenspruch seiner geliebten Grafschaft Mark: vierecken Stein, wie er 
auch fällt, sich immer auf ein Seiten stellt. In Hardenberg's Geist kom- 
men und gehen die Gedanken und Einfälle wie die Nebelbilder in einem 
Zauberspiegel. Dort Alles planvoll, tief, gediegen und darum auch alsbald 
in vollem Ernste durchgeführt; hier ein unsicheres Schwanken zwischen 
radicalen Doctrinen und despotischen Neigungen, eine Reihe verunglückter 
Finanzgesetze, große gefährliche Versprechungen für die Zukunft, kühne 
Anläufe, nach dem ersten Sprunge wieder aufgegeben, Alles planlos und 
hastig; und mitten in diesem unfertigen dilettantischen Treiben doch einige 
hochwichtige Reformen, des größten Staatsmannes würdig, eine Entfesse- 
lung der wirthschaftlichen Kräfte, die dem Staate nachher ermöglicht hat 
die Wunden eines fürchterlichen Krieges auszuheilen. Jener Zug des 
Leichtsinns, welcher Hardenberg's proteische Natur so oft in die Frre führte, 
hing doch eng zusammen mit der besten Kraft seines Wesens, der unver- 
wüstlichen hoffnungsvollen Freudigkeit. Während Stein den preußischen 
Staat schon fast verloren gab und nur noch auf das Wunder einer allge- 
meinen deutschen Volkserhebung rechnete, fand dieser Leichtlebige stets 
neue Mittel und Behelfe für seinen wirklichen Staat und nach jedem 
neuen Fehlschlage stand er wieder schnellkräftig auf seinen Füßen. — 
Inmitten der Aufregung dieser inneren Parteikämpfe behielt Harden- 
berg immer seine beste Kraft frei für die auswärtige Politik. Er wollte 
die wirthschaftlichen und militärischen Kräfte des ausgesogenen Landes 
noch einige Jahre lang sammeln und unterdessen in der Stille ein gutes 
Einvernehmen mit den beiden anderen Ostmächten herstellen, bis nach 
der völligen Räumung der Oderfestungen der rechte Augenblick für die 
Schilderhebung herankäme. Bis dahin durfte man den Argwohn des 
Imperators nicht reizen. Darum wurde Scharnhorst scheinbar der Leitung 
des Kriegsdepartements enthoben: in Wahrheit behielt er nach wie vor 
die militärischen Dinge in seiner Hand. Graf Goltz, ein wohlmeinen- 
der, ängstlicher Mann, an dem die Franzosen keinen Anstoß nahmen, 
blieb dem Namen nach an der Spitze der auswärtigen Geschäfte, während 
Hardenberg hinter seinem Rücken mit dem englischen Agenten Ompteda 
verhandelte. Der Polizeidirector von Berlin, Justus Gruner, ein leiden- 
schaftlicher, in die Pläne der geheimen Bünde tief eingeweihter Patriot, 
verlor seine Stelle. Die aufgeregten Gelehrten und Schriftsteller erhielten 
freundschaftliche Mahnungen sich nicht bloßzustellen. Eine sorgsame Censur 
überwachte nos deux gazettes: so hießen in der Sprache der preu- 
ßischen Diplomatie die patriotische Spenersche und die charakterlose, 
vom Grafen St. Marsan insgeheim unterstützte Vossische Zeitung. Der 
Staatskanzler war unermüdlich im Beschwichtigen und Entschuldigen, so 
oft St. Marsan in Berlin oder Davoust in Magdeburg sich über die
	        
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