Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Kriegspartei. 389 
sei sein Heer bis zum Rhein zu führen; aber die Befreiung Deutsch— 
lands sei nur möglich, wenn die drei Ostmächte vereinigt den Kampf auf 
dem deutschen Kriegstheater eröffneten. 
Im October erschien Scharnhorst in tiefem Geheimniß zu Peters- 
burg und erreichte durch seine geistige Ueberlegenheit wirklich ein kleines 
Zugeständniß. Alexander versprach, falls Napoleon preußische Gebiete 
besetze oder seine Streitkräfte an der Weichsel verstärke, das russische 
Hauptheer durch das Herzogthum Warschau gegen die Weichsel vorgehen 
zu lassen und zugleich zur Vertheidigung Königsbergs ein Corps von zwölf 
Bataillonen nach Ostpreußen zu werfen. Durfte der König sich mit dieser 
kümmerlichen Zusage begnügen? Durfte er den Verzweiflungskampf be- 
ginnen in der äußersten Ost-Ecke des Staates, auf demselben Schauplatze, 
wo der Krieg von 1807 jammervoll geendet hatte? Gleich darauf eilte 
Scharnhorst nach Wien; selbst der Gesandte Humboldt — so stark war 
Hardenberg's Mißtrauen — durfte nichts von seiner Ankunft erfahren. 
Metternich empfing den vertrauten Botschafter nicht unfreundlich. Der 
österreichische Minister behielt die Möglichkeit eines Bundes der drei Ost- 
mächte immer im Auge, obgleich Kaiser Franz die militärischen Jacobiner 
in Berlin nicht weniger verabscheute als sein Schwiegersohn; doch er meinte 
den Zeitpunkt für eine Verschiebung der Allianzen noch nicht gekommen und 
dachte sehr niedrig von Alexander's Willenskraft. Unmöglich, ihm eine feste 
Zusage zu entreißen; selbst für den Fall der Vernichtung Preußens ver- 
sprach er keinen Beistand. Seinem Kaiser aber erklärte er zur nämlichen 
Zeit (28. November) in einer geheimen Denkschrift: Oesterreich habe nur 
noch die Wahl zwischen der Neutralität und dem französischen Bündniß; 
ziehe der Monarch den letzteren Weg vor, so möge er als Lohn für seine 
Kriegshilfe die Jungrenze, Illyrien und Schlesien fordern, da die Auf- 
lösung des preußischen Staates doch fast unvermeidlich sei.“) 
Auch England verweigerte wirksame Hilfe. Preußen forderte nur 
das Unerläßliche: Subsidien und eine Landung an der deutschen Küste. 
Die britische Regierung aber wollte noch immer nicht einsehen, daß die 
Entscheidung des Weltkampfes allein in Deutschland lag. Stolz auf ihre 
iberischen Erfolge meinte sie genug zu thun durch die rüstige Fortführung 
des spanischen Krieges — wie ja bis zum heutigen Tage noch die Durch- 
schnittsmeinung der Engländer dahin geht, daß Wellington's spanische 
Siege das napoleonische Reich zertrümmert hätten. Dem bedrängten Ber- 
liner Hofe bot England nur eine Waffenlieferung, und trotzdem unter- 
stand sich der welsische Staatsmann Graf Münster, bei Scharnhorst, 
Blücher und Gneisenau anzufragen, ob sie nicht gegen den Willen ihres 
Königs eine Schilderhebung wagen wollten! Die gedemüthigte fridericia- 
nische Monarchie hatte alle Achtung in der Welt verloren; sie schien nur 
  
*) Aus Metternich's nachgelassenen Papieren. II. 426.
	        
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