426 I. 4. Der Befreiungskrieg.
vertrag zu Stande. Der Cezar verpflichtete sich die Waffen nicht nieder-
zulegen bis Preußen die Macht, welche es vor dem Kriege von 1806
besaß, wieder erlangt habe; er verbürgte seinem Verbündeten den Besitz
Altpreußens sowie der polnischen Landstriche, welche die Verbindung zwi-
schen Schlesien und Westpreußen bildeten; er versprach endlich, daß die
in Norddeutschland zu erwartenden Eroberungen, mit Ausnahme der Be-
sitzungen des Hauses Hannover, zur Entschädigung Preußens, zur Bildung
eines abgerundeten und zusammenhängenden preußischen Staatsgebietes
verwendet werden sollten. In einem zärtlichen Briefe dankte Alexander
seinem Freunde: er habe, schrieb er, an dieser offenen und schnellen Art
das Herz des Königs erkannt.
Der Kalischer Vertrag war durch die Lage der Dinge vollkommen
gerechtfertigt; um einen geringeren Preis ließ sich Rußlands Hilfe nicht
erlangen. Wie Cavour das Nothwendige that als er Savoyen und Nizza
preisgab für die Befreiung Oberitaliens, ebenso und mit weit besserem
Rechte opferte in ähnlicher Lage König Friedrich Wilhelm der Befreiung
Deutschlands einen Theil seiner polnischen Ansprüche, die er selbst als eine
Last für Preußen ansah. Er gewann dafür jenes westliche Stück Polens,
dessen sein Staat nicht entbehren konnte, und eine feste Zusage vollstän-
diger Entschädigung in Deutschland — ein Versprechen das Czar Alexander
ritterlich gehalten hat. Daß der Vertrag weder die künftige Ostgrenze
noch die norddeutschen Entschädigungslande bestimmt bezeichnete, war für
Preußen sehr nachtheilig, aber ganz unvermeidlich; wer wußte denn in
jenem Augenblicke, welche Lande das gute Schwert der Verbündeten er-
obern würde? Um Preußen nicht allein mit unsicheren Hoffnungen ab-
zuspeisen, wurde nachher zwischen den beiden Verbündeten der Grundsatz
mündlich vereinbart und auch thatsächlich ausgeführt, daß alle altpreußi-
schen Gebiete in Deutschland, die man zurück eroberte, sofort wieder unter
preußische Verwaltung gestellt werden sollten.
Aus dem Kalischer Bunde erwuchs eine sehr feste Interessengemein-
schaft der beiden Höfe. Je weiter die Waffen der Verbündeten westwärts
drangen, je mehr deutsches Gebiet zur Entschädigung Preußens frei ward,
um so gewisser mußte Rußland seine polnischen Ansprüche steigern; das
ließ sich nach den Ueberlieferungen der russischen Politik nicht anders er-
warten und billigerweise auch nicht tadeln, nach einem Siegeszuge, der
die Fahnen Rußlands von der Moskwa bis zum Rheine führte. Nicht
allein die beredten Mahnungen des Freiherrn vom Stein — wie hoch
man auch ihren Einfluß auf Alexander's erregbaren Sinn anschlagen
mag — auch nicht allein die stolzen Träume der Weltbefreiung, sondern
zu allermeist seine polnischen Pläne bestimmten den Czaren, den deutschen
Krieg mit Nachdruck zu führen: er kämpfte am Rhein für seine polnische
Eroberung, wurde durch sein eigenstes Interesse ein treuer Verbündeter
der deutschen Patrioten. Der faule Fleck des Kalischer Vertrags lag allein