Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

40 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
drangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Gedankenkreise des alt- 
ständischen Staates und nahmen, gleich den französischen Parlamenten, 
fast immer Partei für das verfallene Recht der Theile gegen das leben- 
dige Recht des Ganzen. Also, im siegreichen Kampfe für Staatseinheit 
und Rechtsgleichheit, hat sich Preußens neue regierende Klasse, das könig- 
liche Beamtenthum geschult. Aus jenem heimathlosen Dienergeschlechte, 
das im siebzehnten Jahrhundert von Hof zu Hof umherzog, ward nach 
und nach ein preußischer Stand, der sein Leben dem Dienste der Krone 
hingab und in ihrer Ehre die seine fand, streng, thätig und gewissenhaft 
wie sein König. Er verkümmerte nicht, wie die Herren Stände der alten 
Zeit, in dem engen Gesichtskreise der Landschaft und der Vetterschaft; 
er gehörte dem Staate an, lernte sich heimisch fühlen in Königsberg wie 
in Cleve und wahrte in den Klassenkämpfen der Gesellschaft gegen Hoch 
und Niedrig das Gesetz des Landes. Der König aber gab seinen Be- 
amten durch eine feste Rangordnung und gesicherten Gehalt eine geachtete 
Stellung im bürgerlichen Leben, forderte von jedem Eintretenden den 
Nachweis wissenschaftlicher Kenntnisse und begründete also eine Aristokratie 
der Bildung neben der alten Gliederung der Geburtsstände. Die Folge 
lehrte, wie richtig er die lebendigen Kräfte der deutschen Gesellschaft ge- 
schätzt hatte; die besten Köpfe des Adels und des Bürgerthums strömten 
der neuen regierenden Klasse zu. Das preußische Beamtenthum wurde 
für lange Jahre die feste Stütze des deutschen Staatsgedankens, wie einst 
die Legisten Philipp's des Schönen die Pioniere der französischen Staats- 
einheit waren. 
Zu der Steuerpflicht, welche der große Kurfürst seinen Unterthanen 
auferlegt, fügte Friedrich Wilhelm I. die Wehrpflicht und die Schulpflicht 
hinzu; er stellte also die Dreizahl jener allgemeinen Bürgerpflichten fest, 
welche Preußens Volk zur lebendigen Vaterlandsliebe erzogen haben. 
Ahnungslos brach sein in der Beschränktheit gewaltiger Geist die Bahn 
für eine strenge, dem Bürgersinne des Alterthums verwandte Staats- 
gesinnung. Der altgermanische Gedanke des Waffendienstes aller wehr- 
baren Männer war in den kampfgewohnten deutschen Ostmarken selbst 
während der Zeiten der Söldnerheere niemals gänzlich ausgestorben. In 
Ostpreußen bestanden noch bis in's achtzehnte Jahrhundert die Trümmer 
der alten Landwehr der Wybranzen, und Friedrich I. unternahm eine 
Landmiliz für den gesammten Staat zu bilden. Vor dem Soldatenauge 
seines Sohnes fanden solche Versuche ungeregelter Volksbewaffnung keine 
Gnade. König Friedrich Wilhelm kannte die Ueberlegenheit wohlgeschulter 
stehender Heere; er sah, daß sein Staat nur durch die Anspannung aller 
Kräfte bestehen und doch die Kosten der Werbungen auf die Dauer nicht 
erschwingen konnte. Wie ihm überall hinter dem Gebote der politischen 
Pflicht jede andere Rücksicht zurücktrat, so gelangte er zu dem kühnen 
Schlusse, daß alle Preußen durch die Schule des stehenden Heeres gehen
	        
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