Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

490 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
während des Krieges verschuldete. Wie die Dinge lagen, konnten nur 
Preußen und Rußland von der gänzlichen Demüthigung Frankreichs einen 
großen Gewinn für sich selber erwarten, während England seine erbeuteten 
Colonien wohlgeborgen wußte und Oesterreich auch nach einem halben 
Siege auf die Herrscherstellung in Italien hoffen durfte. Dazu die 
Angst der Welfen und Lothringer vor dem ehrgeizigen Preußen, das 
ihnen nach jedem neuen Siege widerwärtiger wurde. So ergab sich eine 
Parteiung im Lager der Alliirten, die von Tag zu Tag schärfer heraus- 
trat. Oesterreich und England zögerten, Preußen und Rußland drängten 
vorwärts; dies blieb doch der feste Kern in den diplomatischen Händeln 
des großen Krieges, obgleich sowohl der Czar als der König auf Augen- 
blicke schwankten. In Schwarzenberg's schlaffer Bedachtsamkeit und Gnei- 
senau's genialer Kühnheit fand der Gegensatz der österreichisch-englischen 
und der preußisch-russischen Politik seinen getreuen Ausdruck. Laut und 
heftig sprachen die Preußen und die Russen ihren Unmuth aus über die 
kläglichen Leistungen des großen Hauptquartiers. Der König selbst war 
sehr unzufrieden. Er hatte schon vor dem Zuge gen Dresden vergeblich 
vorgeschlagen, der Oberbefehl solle dem Czaren anvertraut werden, der 
durch sein kaiserliches Ansehen und mit dem Beistande des geistreichen Toll 
vielleicht etwas ausrichten konnte. ) Als darauf die Ereignisse sein Miß- 
trauen nur zu sehr gerechtfertigt hatten, verbarg er seinen Unmuth nicht 
und weigerte sich zu Hardenberg's Kummer entschieden, dem k. k. Oberfeld- 
herrn auch nur die übliche Höflichkeit einer Ordensverleihung zu gewähren. 
Die bedenklichste Bestimmung des Teplitzer Vertrages lag in dem 
ersten geheimen Artikel, welcher den zwischen Oesterreich, Preußen und dem 
Rheine gelegenen Staaten „die volle und unbedingte Unabhängigkeit“ zu- 
sicherte. Damit war streng genommen jede Unterordnung der Rhein- 
bundsfürsten unter eine nationale Centralgewalt, jede irgend ernsthafte 
Gesammtstaatsverfassung für Deutschland unmöglich gemacht, und dahin 
ging auch Metternich's geheime Absicht. Hardenberg hingegen verstand 
unter jenen verhängnißvollen Worten nur die Aufhebung des napoleoni- 
schen Protectorats und unterzeichnete unbedenklich, arglos auf Oesterreichs 
patriotische Absichten vertrauend. Nicht im mindesten war er gesonnen 
den Rheinbundsfürsten die Souveränität zuzugestehen; vielmehr schien 
ihm, und so auch den Freunden Stein und Humboldt, jetzt die rechte 
Stunde gekommen um mit Oesterreich die Grundzüge einer starken Bun- 
desverfassung zu vereinbaren. 
Stein übergab den Monarchen eine Denkschrift, die er zu Prag in 
den letzten Augusttagen entworfen hatte — eines der beredtesten und 
mächtigsten Werke seiner Feder. Mit feierlichen Worten hielt er seinen 
erlauchten Lesern vor, Mit= und Nachwelt würden sie verdammen, wenn 
sie jetzt nicht mit ganzem Ernst an die Neuordnung der deutschen Nation 
*) Hardenberg's Tagebuch, 18. August 1813. 
 
	        
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